Monster
Ralphs kriminelle Vorgeschichte unter die Nase zu reiben. War er Swigs Spitzel? Riskanter Job in einer Station voller Mörder.
Wenn ja, dann konnte man sich das aber auch zu Nutze machen. Ich sagte: »Auf welchen Stationen hat Dr. Argent gearbeitet?«
Hatterson verstummte einen Moment. »Ich nehme an, sie hat überall gearbeitet. Das machen alle Docs so - die grasen alles ab. Die meisten haben nicht mal feste Büros, sondern teilen sich die Schreibtische, um die Krankenakten auf dem Laufenden zu halten.«
»Wo werden die Krankenakten aufbewahrt?«
»In der Ambulanz.«
»Was genau hat Dr. Argent eigentlich hier gemacht?«, fragte ich.
»Therapie, nehme ich an.«
»Was wissen Sie über ihre Gruppe - Fertigkeiten im Alltag?«
»Nur, dass sie damit vor ein paar Monaten angefangen hat. Und ein paar wirklich seltsame Typen dafür zusammengesucht hat.«
»Seltsam in welcher Hinsicht?«
»Typen, die ziemlich hinüber waren«, sagte Hatterson und tippte sich gegen die Schläfe. »Sie wissen schon, knapp an der Schwachsinnsgrenze.«
Milo sagte: »Zu welchem Zweck überhaupt? Hier kommt doch sowieso keiner raus, stimmt’s?«
Hatterson wurde kreidebleich. Sein Kopf sank auf die Brust und er verharrte in dieser Stellung, als ob ein riesiges Gewicht auf ihm lastete. Die plumpen Lippen arbeiteten fieberhaft.
»Stimmt«, sagte er.
»Oder etwa doch?«
»Nein, nein, das stimmt schon.«
»Oder konnte man dadurch, dass man in Dr. Argents Gruppe mitgemacht hat, Punkte sammeln, um sich seine Entlassung zu verdienen?«
»Nicht dass ich wüsste, Sir.«
»Sind irgendwelche Mitglieder der Gruppe nach draußen gekommen?«
Hatterson schüttelte den Kopf. »Nein, es ging darum - zu lernen, für sich selbst zu sorgen. Ich glaube, Dr. Argent wollte ihnen helfen, dass sie sich besser fühlen, was ihre eigene Person angeht.«
»Ihr Selbstwertgefühl steigern«, sagte Milo.
Hatterson strahlte. »Genau. Man kann nicht andere lieben, wenn man sich selbst nicht liebt. Sie wusste, was sie tat, die Does hier sind kluge Leute. Okay, ich rufe jetzt mal durch, damit sie uns hoch lassen zu Station B.«
Die beiden Stationen in den oberen Stockwerken waren identisch angelegt wie Station A. Auf dem Flur von Station C herrschte reger Betrieb, doch von weiblichen Insassen war nichts zu sehen. Wir schritten eilig hindurch. Keine Streitereien, nichts Außergewöhnliches; das gleiche Panoptikum aus verkümmerten Muskeln, Stumpfsinn und Innenschau, gewürzt mit einem gelegentlichen finsteren Starren, in dem die Paranoia gärte, dem reptilienhaften Hervorschnellen von Zungen und zuckenden Muskeln, die auf die Nebenwirkungen von Phenothiazinen hindeuteten. Hatterson legte ein ziemliches Tempo vor. Der fröhliche Plauderton war ihm vergangen, stattdessen wirkte er niedergeschlagen, fast verärgert.
Jetzt, wo sein Geplapper verstummt war, fiel auf, dass auf den Fluren keinerlei Unterhaltung stattfand. Die Insassen sprachen nicht miteinander. Hier war jeder eine Insel für sich.
Ich nahm an, dass Swig Recht hatte; seine Schützlinge waren in der Tat leichter unter Kontrolle zu halten als normale Kriminelle. Denn sobald man die gewalttätigen Impulse einmal im Griff hatte, war die Psychose pflegeleicht, da sie die Ruhigstellung und Kontrolle auf neurochemischem Wege erledigte, indem sie jegliche Initiative und geistige Frische abwürgte, sodass man vor Überraschungen gefeit war.
Medikamente waren in diesem Zusammenhang ebenfalls hilfreich. Der Trick im Umgang mit gewalttätigen Psychotikern bestand darin, das richtige Mittel zu finden, um die kurzgeschlossenen Synapsen zu überbrücken und so die Wutausbrüche im Keim zu ersticken und die kleinen Stimmen, die Unheil heraufbeschworen, zum Verstummen zu bringen.
Die Sache hatte allerdings einen Haken - man wurde zwar die Neigung zur Gewalttätigkeit los, doch was man erreichte, war nicht Gelassenheit. Was blieb, waren - wie Psychiater sich ausdrückten - negative Symptome der Psychose: Apathie, konstant gedrückte Stimmung, teilnahmsloser Tonfall, gebremste Motorik, Beeinträchtigung und Verarmung des Denkens, ein Mangel an sprachlicher Nuanciertheit und Humor. Ein Dasein, das frei war von Überraschungen und Freude.
Dies erklärte die Stille, die auf der Station allgegenwärtig war. Das Fehlen von Lärm war nicht ein Zeichen dafür, wie friedlich es hier zuging. Es war still wie auf einem Friedhof.
Ein Pfleger rollte einen Wagen mit Essen vorbei. Ich war richtig dankbar für das Geklapper, das
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