Monster
aus der Siedlung fuhr ich dreimal so schnell wie erlaubt.
Ich hielt wieder an der Tankstelle in Grapevine, erledigte ein paar Telefonate und brachte auf diese Weise in Erfahrung, dass die Unterlagen über Kern County in der Beale Memorial Bibliothek in Bakersfield zu finden waren.
Die Fahrt dahin dauerte eine Dreiviertelstunde. Die Bibliothek zu finden war nicht weiter schwer. Es handelte sich um einen sandfarbenen modernistischen Bau samt Parkplatz für knapp zweihundert Autos inmitten einer recht hübschen Gegend der Stadt. Am Hauptschalter erläuterte ich einer freundlich lächelnden Bibliothekarin mein Anliegen, die mich in den Jack-Maguire-Raum für Lokalhistorie verwies, wo eine weitere freundliche Dame ihren Computer befragte und erklärte: »Wir haben zwanzig Jahrgänge des Treadway Intelligencer, falls Ihnen das etwas sagt. Liegt allerdings nur im Original vor. Nicht auf Mikrofilm.«
»Könnte ich mal einen Blick reinwerfen?«
»Sämtliche Ausgaben?«
»Wenn es kein Problem darstellt.«
»Ich sehe mal nach.«
Sie verschwand hinter einer Tür und tauchte fünf Minuten später wieder auf mit einem Hand wägelchen, auf dem zwei mittelgroße Pappkartons standen.
»Sie haben Glück gehabt. Es war nur ein Wochenblatt, und zwar ein ziemlich kleines. Das hier sind zwanzig Jahrgänge. Sie können sie nicht mitnehmen, aber wir haben bis sechs Uhr geöffnet. Viel Spaß beim Lesen.«
Kein fragender Blick, keine neugierigen Erkundigungen. Gott segne Bibliothekarinnen. Ich schob das Wägelchen zu einem der Tische.
Es war in der Tat ein kleines Blättchen. Der Intelligencer hatte einen Umfang von sieben Seiten, die auf grünes Papier gedruckt waren, wobei die letzte Umschlagseite meistens halb leer geblieben war. Sämtliche Ausgaben von 1962 an waren im Dutzend gebunden und steckten in Plastikhüllen. Der Herausgeber und Chefredakteur war ein gewisser Orton Hatzler, als Geschäftsführerin fungierte eine Wanda Hatzler. Ich notierte mir beide Namen und fing an zu lesen.
Große Zeilenabstände, durchsetzt mit wenigen Fotos, die allerdings erstaunlich deutlich waren. Der Wetterbericht immer auf der ersten Seite, denn selbst in Kalifornien hatte das Wetter für die Landbevölkerung große Bedeutung. Berichte über Abschlussbälle der Highschool, Rekordernten, wissenschaftliche Projekte, Exkursionen der Pfadfindergruppe und schillernde Beschreibungen der alljährlichen Kern County Landwirtschaftsausstellung (»Wieder einmal stellte Lars Carlson beim Pfirsichkuchenwettessen unter Beweis, dass er der Champion aller Zeiten ist!«). Seite drei war für Agenturmeldungen über das aktuelle weltpolitische Geschehen und Leitartikel reserviert, wobei sich Orton Hatzler als wahrer Falke entpuppte, was den Vietnamkrieg anging.
Butch Ardullos Name tauchte häufig auf, zumeist in Artikeln über seinen Vorsitz in der Farmervereinigung. Ein Foto zeigte ihn und seine Frau bei einem Wohltätigkeitsball in Fresno: ein massiger Mann mit einem Gesicht wie eine Bulldogge und einem grauen Bürstenhaarschnitt, neben dem seine gertenschlanke, vornehm wirkende Frau mit ihren dunklen Haaren noch kleiner schien, als sie in Wirklichkeit war. Glücklicherweise hatte Scott die Statur seines Vaters und die Gesichtszüge seiner Mutter geerbt.
Seine Sportlichkeit hatte er ebenfalls von seinem Vater. Das erste Mal stieß ich auf seinen Namen in der Bildunterschrift eines Gruppenfotos von Footballspielern, die in die Auswahlmannschaft von Kern County nominiert worden waren. Scott natte sich seine Aufnahme in die Gruppe strahlender junger Männer, die vor einem Torpfosten posierten, durch seine herausragenden Leistungen als Halfback der Tehachapi Highschool verdient.
Von Terri Ardullo gab es keinerlei Fotos, was nicht weiter erstaunlich war, da sie nicht aus Treadway stammte, sondern in Modesto aufgewachsen war.
Carson Crimmins hingegen wurde regelmäßig erwähnt. Er war der zweite reiche Mann des Ortes. Soweit ich es verstand, hatte Crimmins zunächst Seite an Seite mit Ardullo für die Interessen der unabhängigen Farmer gekämpft, bis er dann in den frühen Siebzigern aus angeblicher Enttäuschung über die niedrigen Erlöse für Walnüsse und die steigenden Kosten in der Landwirtschaft die Seiten gewechselt und erklärt hatte, dass er bereit sei, »an den Meistbietenden« zu verkaufen.
Auch von ihm keine Fotos. Von Ardullo kein Kommentar. Der Intelligencer vermied es, für eine Seite Partei zu ergreifen.
März 1969. Eine komplette
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