Monster Kontrolle
erinnern, seit wann sie so isoliert vom Rest der Welt war. Es war gar nicht so lange her, während ihres ersten und einzigen Jahres am College, dass sie eine Menge Freunde gehabt hatte. So viele Freunde und Partys und Spaß, dass ihre Noten in den Keller gegangen waren. Sie hatte die Anforderungen für ihr Stipendium nicht mehr erfüllt, und ihr Dad konnte nicht ihr und ihrer Schwester mit dem Schulgeld helfen. Das Geld reichte ein-fach nicht, und Judy war die Verliererin dabei. Jetzt stand sie hier, neun Jahre später: keine Ausbildung, ein beschissener Job, kein Apartment und auch kein Geld. Irgendwann war alles schiefgegangen. Wie hatte sie so viele dumme Entscheidungen treffen können? Das konnte doch nicht ihre Schuld sein. Nicht das alles.
Sie wartete noch eine halbe Stunde auf Paulie. Er tauchte nicht auf.
Judy rief nicht vorher an. Sie wusste genau, was Greta sagen würde, und Judy wusste, dass sie es sich alles würde anhören müssen. Es gab kein Entrinnen.
Aber wenn sie sich den Vortrag am Telefon anhören musste, standen die Chancen gut, dass sie irgendwann angeekelt auflegen und in einem billigen Hotel enden würde. Wenn sie sich schon ärgern musste, konnte sie auch etwas dabei herausholen.
Greta wohnte in einem perfekten Haus. Es hatte einen perfekten Garten und perfekte Blumenbeete. Die Auffahrt war auch perfekt. Kein einziger Riss in dem glatten, makellosen Beton. An den perfekten Wänden gab es keinen ein-zigen Farbspritzer, und selbst die Gartenzwerge waren in den vier Ecken des Vorgartens perfekt arrangiert. Es war das Haus, in dem Barbiepuppen lebten. Judy hatte sich immer eher für G.I. Joe interessiert. Ihr ideales Haus hätte ziemlich ähnlich ausgesehen wie das von Greta, nur dass es einen geheimen Hebel gegeben hätte, den man ziehen konnte, um eine Kommandozentrale zu enthüllen, einen Hubschrauberlandeplatz und vielleicht ein oder zwei Flie-gerabwehrkanonen. Greta hatte all das wahrscheinlich irgendwo da drin versteckt. Greta hatte einfach alles.
Judy klingelte, und die Türglocke spielte eine beschwingte Melodie. Irgendetwas Klassisches. Vermutlich Beethoven.
Die Tür wurde nicht sofort geöffnet, und Judy fragte sich, ob Greta schon zur Arbeit gegangen sein könnte. Sie ertappte sich dabei, dass sie zu gleichen Teilen hoffte, Greta sei noch zu Hause und dass sie schon weg sei. Alle mög-lichen Aussichten, die das Öffnen oder Nichtöffnen der Tür vor ihr betrafen, schienen ihr gleichermaßen von Gefahren behaftet.
Die Tür öffnete sich. Greta trug ihren Powerfrau-Anzug.
Judy zwang sich zu einem Lächeln. »Hi!«
»Was ist los?« Es war mehr eine Anklage als eine Frage.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen, Schwesterlein.« Judy rang mit ihrem Lächeln und versuchte, es davon abzuhalten, sich zu einem finsteren Blick zu verziehen. »Ich brauche für ein paar Tage einen Platz zum Schlafen.«
»Okay. Klar. Komm rein.« Greta trat beiseite und machte eine halbherzig einladende Geste. »Die musst du aber vorher ausmachen.«
Judy nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette und drückte sie in einer Topfpflanze auf der Veranda aus. Mit einem Schaudern trat sie über die Schwelle. Gretas Haus war eher ein Museumsstück als ein Zuhause. Eigenartige Kunst hing an den Wänden, und seltsame Skulpturen be-anspruchten die Ecken.
»Du hast neu dekoriert«, stellte Judy fest.
»Vor drei Jahren«, sagte Greta, die schon wieder klang, als hätte Judy etwas falsch gemacht.
Judy ignorierte es. Damit hatte sie Erfahrung. »Ich vermisse die Masken. Und wo sind Chuck und Nancy?«
»Nancy ist schon in der Schule, und Chuck ist bis Dienstag auf Geschäftsreise.« Greta ging in die Küche und begann, ein paar Papiere
durchzusehen, schob einige in die Fächer ihrer Aktentasche und nahm andere heraus.
Judy ging zum Kühlschrank und machte eine Bestandsaufnahme. Es gab keine Reste. Das Wegwerfen von Nahrungsmitteln, die älter waren als ein Tag, war für Greta eine Religion. In ihrem sauberen und ordentlichen Universum war kein Platz dafür. Es gab nichts zu essen oder zu trinken.
»Hast du keine Limo oder so was?«
»Wir trinken in diesem Haus keinen raffinierten Zucker. Chuck hat eine Allergie, und Nancy macht es überdreht.«
Judy fand eine Flasche Orangensaft. Sie war versucht, direkt aus der Flasche zu trinken, aber der einzige Grund, das zu tun, wäre gewesen, ihre Schwester zu ärgern. Und Greta gab Judy einen Platz zum Schlafen, also konnte sie zumindest nach den Regeln ihrer Schwester
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