Monströs (German Edition)
da die Station nur etwa zweihundert Meter neben der Bahntrasse gelegen war. Die Transportkabine hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil sie ungewöhnlicherweise auf zwei dicken Stahlseilen ruhte und nicht wie üblich an einem Seil hing. Die längliche, überdimensionierte Kabine sah aus wie ein Weltraumshuttle aus einem science-fiction Film, und nicht wie eine Gondel, die Skifahrer auf eine Skipiste brachte. Martin blickte nun angestrengter in die Tiefe. Warum hatte er nicht schon früher daran gedacht? Die Seilbahn war geschlossen, daran bestand kein Zweifel und niemand war da, aber vielleicht, nein sogar sehr wahrscheinlich, gab es in diesem modernen Gebäude ein Telefon. Allein schon für Notfälle mussten sie ein Telefon haben. Das war die Rettung. Um dort hinunterzukommen, musste Martin die Bahngleise überqueren und dann ging es auf einem weißen Teppich auf ungesichertem Gelände steil bergab. Es würde nicht leicht werden, aber er konnte es schaffen. Er spürte, wie seine Kräfte wiederkamen. Wenn ihm vor wenigen Stunden jemand gesagt hätte, dass er inmitten dieser Schneemassen, allein unterwegs sein würde, er hätte denjenigen für verrückt erklärt. Und jetzt machte es ihm zu seiner Verwunderung kaum noch etwas aus, dass er bis zu den Knien im Schnee versank. Mit jedem Meter, den er zurücklegte, wurde es besser. Dr. Hörschler hatte vollkommen richtig gelegen. Man muss sich seinen Ängsten stellen. Wäre die Situation nicht so gefährlich gewesen und hätte er nicht bei jedem Schritt vor Schmerzen auf die Zähne beißen müssen, hätte er sich ehrlich über seine Fortschritte gefreut.
Als Martin die Bahngleise überquert hatte, lag nur noch der steile Abhang vor ihm. Hier lag der Schnee am Höchsten. Bevor er den ersten Schritt ins Ungewisse machte, blickte Martin noch einmal zurück zum Hotel. Er wollte sich schon wieder umdrehen und losmarschieren, als er etwas Ungewöhnliches wahrnahm. Eine Bewegung, ein dunkler Schatten, der sich im Dickicht des Schneetreibens abzeichnete. Dann formte sich der Schatten zu einer Person. Dem Gang nach ein Mann, der den Berg hinunter lief, genau in seine Richtung. Martin stockte der Atem. Er sah nach unten. Verdammt es war zu weit. Mit zwei gesunden Beinen und Armen hätte er es vielleicht geschafft. Er drehte sich wieder um und fand seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Jetzt konnte er klar erkennen, wer da auf ihn zu kam. Es war Eddie Kaltenbach und der Abstand betrug keine hundert Meter mehr.
Martin dachte an nichts mehr. Panik erfasste ihn. Der Instinkt, dem er folgte, hieß Flucht. Er humpelte los, so schnell er mit seinem lädierten Bein und nur einem gesunden Arm konnte. Dabei kam er sich so verloren vor wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel umringt von einer Schar hungriger Straßenkatzen. Die Schneedecke war locker und tief. Bei jedem Schritt sackte er fast bis zu den Knien ein. Eddie war jetzt nur noch knapp vierzig Meter hinter ihm. Er hatte nun ebenfalls den tiefen Schnee hinter den Gleisen erreicht und kam etwas langsamer voran, wenn auch immer noch doppelt so schnell wie Martin. Es war ein ungleiches Rennen. Eddie holte mit jedem Schritt weiter auf. Noch dreißig Meter lagen zwischen den beiden Männern.
Martin hätte nicht geglaubt, dass die Angst vor dem unmittelbar bevorstehenden Tod so stark ist, dass sie selbst seine Schmerzen verdrängte und auch, die ihm jetzt völlig lächerlich erscheinende Angst vor dem Schnee. Dabei dachte er überhaupt nicht an sich. Er dachte an Paul und wurde ein wenig schneller. Aber letztlich war ihm völlig bewusst, dass er nicht die geringste Chance hatte zu entkommen. Bis zur Seilbahnstation waren es immer noch gut hundert Meter. Doch noch etwas anderes wurde Martin auf einmal klar. Der Mann hinter ihm hatte eine Pistole in der Hand. Der Abstand zwischen ihnen betrug jetzt nur noch zwanzig Meter. Kaltenbach hätte ihn mühelos aufs Korn nehmen und abknallen können. Aber das tat er nicht. Warum? Martins Kraft neigte sich jetzt dem Ende zu. Die Schmerzen an dem gebrochenen Arm wurden nahezu unerträglich. Und das rechte Bein mit dem zerschundenen Knie wollte sein Gewicht nicht mehr tragen. Wenn Eddie ihn nicht sofort töten wollte, konnte er genauso gut jetzt stehen bleiben. Und genau das tat Martin in diesem Moment.
52
Martin wandte sich Eddie Kaltenbach zu und blieb regungslos stehen. Eddie kam bis auf zwei Meter an ihn heran und blieb dann ebenfalls stehen. Einen Moment lang
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