Monströs (German Edition)
allein.
Martin schloss die Augen, während Raphael las. Ein neuer Reim. Martin war davon ausgegangen, dass Eddie der Verfasser dieser einfachen Reime gewesen war, doch der schien nun zu glauben, er, Martin, wäre es gewesen. Es gab zwei Erklärungen für Eddies Verhalten. Entweder er hatte die Verse geschrieben und wusste nichts mehr davon. Das war möglich, wenn man in Betracht zog, dass Eddie an einer multiplen Persönlichkeitsstörung litt. Dann gab es noch eine Möglichkeit. Eddie war tatsächlich nicht der Verfasser der Verse.
Als er mit dem Lesen fertig war, nahm Raphael die halb zu Ende gerauchte Zigarette senkrecht nach oben zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt Martin die Glut direkt vor das rechte Auge. Martin schnellte instinktiv mit dem Kopf zurück. Doch trotz der Tatsache, dass es keine Kopfstütze hinter ihm gab, war sein Bewegungsspielraum aufgrund seiner Fesselung stark eingeschränkt. Raphaels Hand mit der glühenden Zigarettenspitze folgte der Rückwärtsbewegung seines Kopfes mühelos nach, bis es nicht mehr weiter ging. Martin wandte den Kopf zur Seite. Dann kam der Schmerz. Raphael drückte ihm die Glut an der Wange aus. Diesmal schrie Martin. Der Geruch von versengtem Fleisch schoss ihm in die Nase und er hatte das Gefühl der Klimmstängel würde ihm ein Loch in die Backe brennen. Es dauerte eine scheinbare Ewigkeit, bis die Zigarette aus war und Raphael den Stummel auf den Boden warf. Der Schmerz stellte kurz alles andere in den Schatten. Seine Angst um Paul und seine anderen Gebrechen. Martin wollte sich an die Wange fassen, etwas zur Linderung des Brennens tun, doch seine Arme waren eingeschnürt wie in einem Kokon aus Beton.
Raphael kam mit dem Gesicht jetzt ganz nah an seines heran. Martin konnte den kalten Rauch in seinem Atem riechen.
»Das war nur der Vorgeschmack. Wenn du schnell und schmerzlos sterben willst und das wirst du wollen, solltest du mir meine Fragen beantworten.«
Martin war nicht fähig, etwas zu sagen. Er schaute nur mit vor Schock und Angst geweiteten Augen in die seines Peinigers.
»Hast du mich verstanden?«, fragte Raphael und lehnte sich wieder zurück.
Martin nickte stumm. Er sah, dass Eddie jetzt noch etwas anderes in der Hand hatte und die Vorstellung, was er damit anrichten konnte, ließ seinen Verstand fast überschnappen.
Es war ein Feuerzeug. Ein billiges, rotes Plastikfeuerzeug, wie man es in jeder Tankstelle kaufen konnte. Und doch konnte sich Martin nicht vorstellen, dass Eddie sich damit die nächste Zigarette anzünden wollte.
Langsam kam die Hand mit dem Feuerzeug näher. Unter Martins Kinn hielt Raphael inne. Schnipp, dann loderte die Flamme auf. Martins Kopf schnellte wieder zurück, die Flamme folgte. Martin wandte sich in seinen Fesseln hin und her, beachtete die Rippe und den gebrochenen Arm nicht mehr. Aber es war aussichtslos. Raphael war ein erbarmungsloses Monster, und wenn Martin jetzt hätte wählen können, hätte er sofort mit dem Bergsteiger, der in den Tod stürzte, getauscht.
Dann war die Flamme weg und Raphael sah ihn wieder wie versteinert an.
»Du hast Eddies Frau erschossen, glaub ja nicht, dass ich dich mit Samthandschuhen anfasse. Soweit sind wir uns doch einig?«
Martin sagte nichts.
»Eddies Bruder war gefesselt und ziemlich übel zugerichtet, als Eddie zu ihm kam. Du hast gewusst, wann Eddie in Frankfurt angekommen ist und das Mietshaus betreten hat, sonst hättest du ihn nicht so punktgenau anrufen können. Es muss also jemand vor Ort gewesen sein. Zur gleichen Zeit hat jemand Eddies Frau in ihrem Haus erschossen. Ihr müsst also mindestens zu zweit gewesen sein. Mit wem arbeitest du zusammen?«
Martin fiel so schnell darauf nichts ein. Wenn er die Wahrheit sagte, dass er nicht wüsste, wovon Eddie sprach, würde der ihn weiter durch die Mangel drehen. Es war menschlich, dass Martin das nach den Erfahrungen, die er gerade gemacht hatte, unter allen Umständen vermeiden wollte.
Raphael rieb mit dem Daumen das Drehrad des Feuerzeugs. Martin drehte fast durch. Er musste sich etwas einfallen lassen. Doch wie es schien, hatte Gott erbarmen mit ihm. Raphael versuchte es jetzt schon zum x-ten Mal. Er schüttelte das Feuerzeug, aber es funktionierte nicht mehr.
»Scheißding!«, sagte er und warf es gegen die Rückwand des Shuttles.
Dann stand er auf. Als Raphael sich seitlich wegdrehte, um aus der Sitzreihe in den Gang zu treten, sah Martin eine Pistole, Söders Pistole. Raphael hatte sie sich hinter dem
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