Monströs (German Edition)
Geschichten aus der Baubranche, denn wie er jetzt nach drei Gläsern Wein offenherzig ausplauderte, war er in früheren Jahren selbst Bauunternehmer gewesen. Handwerker könnten ihm daher nichts vormachen.
13
Ernst Söder schenkte der Außenbeleuchtung besondere Aufmerksamkeit, weil er es war, der bei Schneefall mehrmals täglich hinaus musste, um die in den Boden eingelassenen Strahler, von der Schneedecke zu befreien. Er saß dem Außenfenster zugewandt und zog die Stirn fragend in Falten, als fast auf einen Schlag mehrere Strahler ausfielen. Es war nicht ungewöhnlich, dass eine Lampe durchschmorte und ausgewechselt werden musste, es war aber ausgeschlossen, dass mehrere Lampen gleichzeitig kaputt gingen, während andere in der Reihe weiter brannten. Er wischte sich mit der Serviette den Mund ab, stand vom Tisch auf und ging hinüber zu den Fenstern. Zurbriggen schaute ihm nach. Söder konnte schon von weitem erkennen, dass etwas auf den Bodenstrahlern lag. Als er an der Fensterfront ankam, verschlug es ihm für einen Moment vor Verblüffung die Sprache.
»Was zum Teufel ...«, flüsterte er.
»Was ist denn?«, rief Zurbriggen.
Söder drehte sich konsterniert zu ihm um.
»Da liegt einer draußen auf den Scheinwerfern und rührt sich nicht mehr.«
Zurbriggen sprang auf und stand im nächsten Moment neben ihm.
»Na los, worauf warten Sie? Wir müssen dem Mann helfen.«
Der Koch, Hans Meier, war mit Selma in der Küche, um aufzuräumen, und sauber zu machen, als Söder den Fremden draußen entdeckte. Sie bekamen von der Aufregung, die jetzt herrschte nichts mit. Martin und Eugen Bumann waren mit einem Mal auf den Beinen und liefen hinter Zurbriggen und Söder her zum Hotelausgang. Nur Marianne Seewald blieb völlig ungerührt sitzen und starrte ins Leere, als ob sie mit den Gedanken ganz woanders wäre. Die Schiebetür nach draußen war verschlossen, was bedeutete, dass sie von außen nur mit einer speziellen Codekarte geöffnet werden konnte. Von innen jedoch ließ sie sich durch einen Schalter neben der Tür öffnen. Zurbriggen war als Erster da. Die Tür schob sich zur Seite und die eiskalte Novemberluft schlug ihnen entgegen. Die vier Männer liefen ohne zu zögern hinaus zu der Stelle, wo der Mann noch immer lag. Eine leichte Schneeschicht hatte sich bereits über seinen Körper gelegt. Er hatte seine Jacke ausgezogen und mit ihr einen Bodenscheinwerfer bedeckt. Zwei weitere Strahler hatte er mit seinem Körper zugedeckt. Sie packten den Mann an Armen und Beinen und schleiften ihn dem Eingang des Hotels entgegen. Der Mann war groß und massig. Martin schätze ihn auf mindestens hundert Kilo. Es war unbeschreiblich, wie schwer und unhandlich ein lebloser Körper von diesem Gewicht war. Der Kopf des Mannes hing leblos nach hinten und Martin schleppte ihn an seinem rechten Bein. Außerdem peitsche der Sturm Martin den Schnee in die Augen, so dass er das Gesicht des Mannes nicht erkennen konnte. Söder und Bumann hatten den Mann an je einem Arm und um die Schulter gepackt. Martin konnte sich täuschen, aber er glaubte, bemerkt zu haben, dass Söder einen Moment entsetzt geschaut und gezögert hatte, als er auf das Gesicht des Mannes geblickt hatte. Vielleicht war der Mann am Kopf schwer verletzt, dachte Martin. Aber der Schnee hatte keine Blutspuren aufgewiesen, oder vielleicht doch und er hatte unter diesen widrigen Umständen und bei der gebotenen Eile einfach nur nicht darauf geachtet. In der Eingangshalle legten sie den Mann auf eines der Sofas.
Söder beugte sich sofort über den Bewusstlosen und legte seinen Kopf auf die Brust des Mannes. Dann fühlte er an der Kehle und am Armgelenk nach einem Puls.
»Er lebt noch«, sagte er dann. Seinem Tonfall nach hörte es sich an, als ob er fast enttäuscht darüber war. Er stand auf und gab den Blick auf das Gesicht des Mannes frei, während Bumann forteilte, um Decken zu holen.
Für Martin war es nach den beiden E-Mails, die ihm jemand unter Annas Namen geschrieben hatte, der zweite große Schock an diesem Tag. Das Gesicht des Mannes war nicht verletzt. Es war nicht blutverschmiert. Es war schlimmer. Martin kannte den Mann und er hatte gehofft, ihm nie mehr im Leben zu begegnen. Er sah aus wie damals, hatte sich kein bisschen verändert. Ein Gesicht wie ein Engel, aber ein verrücktes Gehirn, als ob der Teufel von ihm Besitz ergriffen hätte. Diesen Mann hier und jetzt, so völlig unerwartet vor sich liegen zu sehen, war wie ein Schreck, der einem
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