Monströs (German Edition)
Mann wird sicher Verständnis für unser Handeln haben.« Zurbriggen zog seinen Generalschlüssel hervor und schloss die Tür ab. Die anderen Hotelinsassen versammelten sich nun an der Bar des Restaurants, um sich mit etwas Hochprozentigem aufzuwärmen.
Bumann gab den Barkeeper und schenkte fleißig ein paar Whiskeys in die Gläser. Martin stieg der Geruch in die Nase. Mit aller Kraft widerstand er dem starken Verlangen, auf den Schreck einen Schluck zu trinken und verabschiedete sich. Selma begleitete ihn zum Fahrstuhl.
»Wollen wir noch ein wenig reden? Wir hatten ja bis jetzt noch gar keine richtige Gelegenheit dazu«, sagte sie, als er den Knopf neben dem Aufzug drückte.
Selma hatte Recht. Allerdings war ihm jetzt, nachdem er wusste, dass Eddie Kaltenbach im selben Hotel war, wie er, nicht nach Reden zu Mute. Er musste unbedingt nachdenken. Dafür brauchte er Ruhe. Er wandte sich Selma zu und sah sie an.
»Sei mir bitte nicht böse. Aber ich bin hundemüde und dazu noch diese bohrenden Kopfschmerzen. Für heute reicht es mir einfach. Lass uns morgen reden.«
Selma lächelte ihn an. Er hoffte, dass sie ihm die Notlüge abnahm.
»Ja klar, kann ich verstehen. Die ungewohnte Höhenluft spielt neben den Strapazen der Anreise auch eine Rolle. Ich kenne das von unseren Hotelgästen. Am ersten Abend sind sie fast alle früh im Bett.«
Martin nickte ihr freundlich zu. Dann öffnete sich die Kabinentür.
»Ich denke, dann gehe ich noch kurz zurück zu den anderen. Auch wenn ich mir bessere Gesellschaft vorstellen kann. Aber ich habe einfach noch keine Lust ins Bett zu gehen und Meier, der Koch, ist eigentlich ganz in Ordnung.«
»Ja, das habe ich auch schon gemerkt. Also dann bis Morgen«, sagte Martin, stieg ein und drückte die Nummer der ersten Etage.
»Bis Morgen. Schlaf gut«, sagte Selma und verschwand wieder in Richtung des Restaurants.
Als Martin wieder in seinem Zimmer war, war es schon nach zehn. Er setzte sich auf den bequemen mit rotem Samt überzogenen Sessel, konnte aber auf Anhieb keinen klaren Gedanken fassen. Eddie Kaltenbach war aufgrund Martins Zeugenaussage freigekommen. Soweit so gut, hätte er damals vor Gericht auch die Wahrheit gesagt. Doch das hatte er nicht. Er hatte wider besseres Wissen einen groben Meineid geschworen und damit nicht nur gegen das Strafgesetzbuch, sondern auch gegen seinen Kodex als Rechtsanwalt verstoßen. Unmittelbar nach der Falschaussage war sein Leben nach und nach den Bach runtergegangen. Er hatte den Job als Strafverteidiger hingeschmissen und seine Frau war auch nicht mehr die gleiche gewesen. Ihre Veränderung schritt langsam kaum merklich voran. Aber es passierte und am Ende war aus der unbeschwerten, lustigen Anna, eine schwermütige und ängstliche Person geworden, die sich immer mehr in den eigenen vier Wänden verkroch und deren Traurigkeit, in ihren Augen abzulesen war. Er hatte die Veränderung anfangs nicht bemerkt, es ging einfach viel zu langsam vonstatten. Dann als es offensichtlich wurde, war es schon zu spät. Er hatte es auf die schwierige Schwangerschaft mit Paul zurückgeführt und die Geburt des Kindes hatte ihm auch für kurze Zeit Recht gegeben. In den ersten Wochen, nachdem Paul auf der Welt war, hatte er die Hoffnung, dass Anna sich wieder fangen würde, wieder die Frau werden würde, die er für ihr natürliches Lachen so sehr liebte. Aber es geschah das Gegenteil. Nach einer kurzen Besserung ihres Zustandes ging es weiter bergab. Er hatte ihr geraten, psychologische Hilfe aufzusuchen, aber sie hatte es nicht getan. Immer wenn er das Thema anschnitt, drehte sie sich um und ging wortlos weg. Sie sprach nie mit ihm darüber, wie es ihr ging und was ihr fehlte. Dabei hatte Martin, auch wenn er es am Anfang nur geahnt hatte, irgendwann mit Bestimmtheit gewusst, dass es an dem lag, was sie an dem Tag erlebt hatte, als er vor Gericht aussagen musste. Als er nach Hause gekommen war, hatte er sie umarmt, sie geküsst und sie hatte ihn fest an sich gedrückt. Sie hatte nicht geweint, auch sahen ihre Augen nicht so aus, als ob sie vorher geweint hätte. Sie machte den Eindruck, als ob alles in Ordnung sei.
Martin raufte sich die Haare. Wie oft und wie sehr hatte er sich gewünscht, er hätte den Wunsch seiner Frau respektiert und wäre nicht zur Polizei gegangen, um den von ihm beobachteten Mord zu melden. Aber nein, er als Rechtsanwalt sei dazu verpflichtet, hatte er gesagt, noch dazu, wenn er den Mörder genau gesehen und damit identifizieren
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