Monströs (German Edition)
die alleinige Schuld gab. Er wusste, dass er nicht darüber nachdenken durfte, denn diese Gedanken vermochten es, ihn erneut in ein Land ohne Farbe zu schicken.
»Meine Recherchen haben aber ergeben, dass die E-Mails an dich über das E-Mail-Konto deiner Frau geschickt wurden.«
Martin spürte eine heiße Kugel in seinem Bauch.
»Und was bedeutet das?«
»Entweder kannte jemand, das Passwort oder jemand hat es gehackt, was nicht ganz einfach ist.«
Martin beschloss, diese Information später zu verdauen.
»Du weißt also nicht, wer die Nachrichten geschrieben hat, nur dass sie vom E-Mail-Konto meiner Frau stammen?«
»Nicht ganz.«
»Was soll das nun wieder heißen?«
»Jetzt kommt der eigentliche Clou an der Sache.«
Ram machte eine Pause, als warte er auf eine gespannte Nachfrage Martins. Doch der tat ihm den Gefallen in dieser Nacht nicht.
»Ich weiß nicht, wer die E-Mails geschrieben hat, aber sie wurden von einem Computer abgeschickt, der sich in deinem Hotel befindet.«
Martin verschlug es für einen Moment die Sprache. Sein Hals war mit einem Mal völlig trocken. Er öffnete die Minibar und griff an der Wodkaflasche vorbei, die letzte Wasserflasche. Die Beleuchtung der Minibar tauchte das kleine Schnapsfläschchen neben dem Wasser in ein werbewirksames, verführerisches Licht. Er fuhr sich mit der Zunge über die rauen Lippen, als ob er dadurch die Erinnerung an die betäubende Wirkung des Alkohols hervorkramen könnte. Dann stürzte er das Wasser die Kehle hinunter.
»Bis du noch dran?«, hörte er Ram fragen.
»Ja.«
»Alles in Ordnung?«
»Jemand schreibt mir von diesem Hotel aus Liebesgrüße aus dem Jenseits und du fragst mich, ob alles in Ordnung ist?«
»Ich wollte nur höflich sein.«
Mit einem Mal wurde Martin klar, dass er seine Panik an Ram ausließ. Kurz überlegte er, ob er ihm erzählen sollte, dass Eddie Kaltenbach hier war und dass diese Tatsache und die E-Mails zusammen ein Zufall zu viel waren. Aber Ram kannte die Geschichte nicht, die Martin mit Kaltenbach verband und es würde zu lange dauern, das alles vor ihm auszubreiten. Martin beschloss Ram später wieder anzurufen, wenn er nachgedacht hatte. Jetzt brauchte er ein paar Minuten Ruhe.
»Ich melde mich später wieder.«
»Wie du meinst«, sagte Ram beleidigt und legte auf.
Ich hätte ihm danken müssen, dachte Martin. Aber er hatte angesichts der Fragen, die auf ihn einstürmten nicht daran gedacht. Ram jetzt gleich wieder anzurufen, dazu fehlten ihm die Nerven. Wahrscheinlich hätte Ram auch einfach nicht abgenommen, wie er ihn kannte. Martin stöhnte, erhob sich von dem Stuhl am Schreibtisch und lief langsam im Zimmer auf und ab.
Er musste nicht wissen, wie Ram herausgefunden hatte, dass die E-Mails an ihn vom Hotel aus geschrieben wurden. Er konnte sich aber darauf verlassen, dass Rams Information hundert Prozent stimmte. Er hatte sich verkniffen, Ram darauf hinzuweisen, dass es noch eine dritte Möglichkeit gab, wer die E-Mails geschrieben hatte, nämlich Anna. Man hörte doch immer wieder von Menschen, die nach Jahren wieder aufgetaucht waren. Aber im Falle seiner Frau war das nicht realistisch. Sie war gestorben, hatte sich das Leben genommen. Sie wurde beerdigt. Sie war nicht nur verschwunden. Sie war tot. Also wer kam noch dafür in Frage? Sein erster Gedanke fiel natürlich auf Kaltenbach, aber der war noch nicht im Hotel gewesen, als die E-Mails ankamen. Oder doch? War er vielleicht unbemerkt zu einem früheren Zeitpunkt herein gekommen und dann wieder nach draußen gegangen, wo er einen Unfall hatte. Wer noch, dachte er? Selma war die beste und am Ende gleichzeitig die einzige Freundin seiner Frau gewesen. Vielleicht hatte Anna ihr das Passwort verraten. Selma war auch im Hotel gewesen, als die E-Mails abgeschickt wurden. Das ließ sich hören, allerdings, warum sollte Selma so etwas Niederträchtiges tun? Sie war eine Seele von Mensch. Sie wüsste, dass der Inhalt der E-Mails Martin bis ins Mark treffen würde. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie es getan hatte, aber er würde sie fragen und er würde es jetzt tun. Er hatte sich gerade seine Kleider angezogen, als er das markante Piepen aus seinem Notebook vernahm, das den Eingang einer weiteren E-Mail signalisierte.
Langsam ging er auf den Schreibtisch zu, bis er auf dem Display den Absender erkennen konnte. Jetzt hatte der Schreiber nicht mehr nur die Anfangsbuchstaben als Kürzel verwendet. Jetzt stand da der volle Name seiner Frau, Anna
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