Monströs (German Edition)
Klaustrophobie.
Für jemanden, der unter Platzangst litt, war schon der Verbleib in einem Kleiderschrank eine Tortur. Aber die Tür war nicht abgeschlossen. Aus dem Schrank konnte er, wann immer er wollte, heraus. Aber wenn er den Panikraum betreten würde, dann musste er darin bleiben, bis die Polizei kam. Die Türen würden verschlossen bleiben. Selbst wenn er wollte, er konnte nicht früher raus. Denn dann würde er das Leben von Selma und Bumann gefährden. Kurz schreckte er zurück. Er konnte unter diesen Umständen nicht da rein gehen. Aber was war dann? Hinter sich glaubte er, Kaltenbach jetzt einen Song von Metallica singen zu hören. Wenn Eddie ihn in die Finger kriegen würde, würde er ihn töten. Er musste es versuchen. Paul brauchte doch wenigstens seinen Vater. Er atmete tief durch und rief sich Dr. Hörschlers Worte ins Gedächtnis. Sie müssen sich ihren Ängsten stellen. Es kann ihnen nichts geschehen. Ihr Gehirn spielt ihnen das nur vor. Sie sind absolut sicher.
Martin zog die Tür des Kleiderschrankes hinter sich zu und klopfte an die geschlossene Tür. Eine Sekunde hielt er den Atem an. Dann kam ganz leise von irgendwo her im Schrank Selmas Stimme.
»Martin?«
Die Stimme drang leise aus einem im Schrank versteckten Lautsprecher.
»Ja, ich bin’s«, flüsterte er.
Im selben Moment öffnete sich die Tür und Martin ging in gebückter Haltung zwischen den Kleidern hindurch hinein.
Bumann ließ sogleich die Tür wieder ins Schloss fallen und sperrte ab. Man hörte die zahlreichen Sicherheitsbolzen einrasten.
Der Raum war nur vier mal vier Meter groß. Willkommen bei der Konfrontationstherapie deiner Wahl, dachte Martin. Der winzige Raum verfügte über ein Bett, einen Kühlschrank, zwei Stühle und einen Tisch sowie eine Waschgelegenheit und ein WC, das in der Ecke hinter einem Mauervorsprung verborgen war.
Als Martin eintrat fiel Selma ihm in die Arme.
»Gott sei Dank, ich dachte schon, er hätte dich erwischt. Womit hast du dich denn so lange aufgehalten und was willst du mit dem Computer?«
»Moment noch«, sagte Martin und hielt den Finger an den Mund, als Zeichen leise zu sein. Er lauschte angestrengt, hörte aber nichts. Während sie warteten, stand Martin völlig verkrampft, das Notebook unter den Arm geklemmt, neben Selma. Doch es blieb still. Jetzt entspannte er sich ein wenig. Er stellte das Notebook auf den Tisch und drückte die On-Taste. Dann fiel sein Blick auf das Telefon. »Funktioniert es?«
Bumann seufzte.
»Leider nicht. Ich wette, es hängt an der Hauptleitung, wie alle anderen Telefone auch.«
»Mist«, sagte Martin.
»Hey, nicht so pessimistisch. Wir haben es geschafft, wir sind in Sicherheit«, sagte Selma und ließ sich mit einem Lachen im Gesicht auf dem Bett nieder. Bumann nahm am Tisch Platz und durchwühlte mit den Händen seine Haare. Er sah zermürbt aus und konnte Selmas Euphorie noch nicht teilen.
»Ich wüsste auch nicht, wie der Irre hier rein kommen sollte«, sagte er dann und zwang sich, ebenfalls ein freundlicheres Gesicht zu machen.
»Ich hab das hier in Zurbriggens Computer gefunden«, sagte Martin und hielt den USB-Stick hoch. »Zurbriggens Mörder wollte, dass die darauf befindlichen Dateien gefunden werden.«
»Das hört sich ja an, als ob hier jemand eine verdammte Schnitzeljagd mit uns veranstaltet«, sagte Bumann.
Martin setzte sich nun ebenfalls an den Tisch und schob den USB-Stick in den Slot am Notebook. Für Selma und Eugen Bumann war dieser Raum ein Geschenk Gottes, was er für ihn war, würde sich noch herausstellen.
»Söder ist tot«, bemerkte er noch kurz, während der Computer hochfuhr.
Bumann zuckte gleichgültig mit den Schultern und auch Selma sagte kein Wort. Es war ihnen egal.
39
Martin klickte auf die erste Tondatei im Ordner Beweismittel auf dem USB-Stick. Es handelte sich um einen Dialog zwischen Marianne Seewald und Ernst Söder. Ihre Stimmen waren unverkennbar. Der Inhalt der Unterhaltung versetzte Selma, Martin und Eugen Bumann jedoch in höchstes Erstaunen und erfüllte sie zugleich mit abgrundtiefem Entsetzen.
Marianne Seewald sprach mit Söder über einen Mann Namens Ali, den Anführer einer neuen Gruppierung, die in das Geschäft mit den Mädchen drängen wollte. Es war deutlich zu hören, dass Marianne Seewald einen Mordauftrag aussprach. Sie sagte zu Söder, er solle den Mann ausquetschen und dann beerdigen.
Selma war nach den ersten Worten, die aus den mageren Lautsprechern des Notebooks drangen,
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