Monströs (German Edition)
verloren.
»Ich verstehe nicht«, sagte er nur.
»Die Polizei wird Eddie erledigen. Für die ist er jetzt schon der Mörder seines Bruders und seiner Frau. Er ist auch der perfekte Kandidat für die Taten, die heute hier geschehen sind. Ein außer Kontrolle geratener Psychopath wäre der perfekte Sündenbock.«
»Fehlt noch das Motiv«, sagte Bumann.
»Aber das liegt doch auf der Hand«, sagte Martin. Es geht um Rache. Anscheinend haben die jetzigen Opfer dem Schreiber der E-Mails etwas so Schlimmes angetan, dass nur der Tod in dessen Augen eine gerechte Strafe ist. Allerdings frage ich mich dann, warum Eddie auf mich gehetzt wurde und warum die E-Mails unter dem Namen meiner Frau geschrieben wurden?«
Bedrücktes Schweigen setzte ein. Martin schaute Selma nachdrücklich an. Sie war Annas beste und am Schluss einzige Freundin gewesen. Wenn sie Hinweise darauf hatte, dass Anna möglicherweise noch lebte, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für sie gekommen, damit herauszurücken. Aber Selma blieb stumm und hielt seinem Blick stand. In ihren Augen glaubte er, dieselben Fragen zu sehen, wie sie auch in seinem Hirn herumgeisterten.
»Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mit Eddie zu reden und zu hoffen, ihn davon überzeugen zu können, dass er vielleicht die ganze Zeit nur benutzt wurde«, sagte Martin.
»Vergiss es«, sagte Selma. »Der Kerl hat Zurbriggen und Meier getötet, weil sie ihm im Weg standen. Er ist ein kaltblütiger Killer. Dem ist völlig egal, was du ihm erzählst. Am Ende wird er dich doch umbringen. Allein schon deshalb, weil es ihm Spaß macht. Das kannst du nicht riskieren.«
Wieder herrschte Schweigen. Martin hatte sich die ganze Zeit insgeheim gefragt, woher er die Kraft nahm, gegen all die Widrigkeiten anzukämpfen. Er hatte die ganze Zeit gedacht, dass allein Paul ihm die Energie und den Mut dazu gab. Nun wurde ihm bewusst, dass es noch etwas anderes war. Es war die Hoffnung, dass Anna noch leben könnte, die ihn kämpfen ließ. Und das gefiel ihm nicht. Denn wie tief würde er fallen, wenn sich diese Hoffnung am Ende in Nichts auflöste. Er musste sich selbst davor schützen. Anna ist tot, dachte er. Aber es war schon zu spät. Sein Gehirn wollte diesen Gedanken schon nicht mehr akzeptieren. Schließlich hellte sich Selmas Gesicht ein wenig auf.
»Vielleicht gibt es doch noch einen Ausweg.«
Martin drehte ihr gespannt den Kopf zu.
»Die Draisine im Schuppen neben der Bahnstation. Falls sie noch dort steht, könnten wir versuchen, damit ins Tal zu fahren und die Polizei verständigen, bevor der erste Zug am Morgen hier oben ankommt, und Eddie die Chance bekommt zu fliehen.«
Bumann blies geräuschvoll die Luft aus.
»Ohne mich«, sagte er. »Ich bin hier sicher. Warum sollte ich das aufgeben? Von mir will der Irre schließlich nichts.«
Selma funkelte ihn mit giftigen Augen an.
»Aber es könnte klappen«, sagte sie. »Die Draisine stand auf einem Nebengleis in einem kleinen Schuppen. Man müsste nur die Bremsklötze wegziehen und schon wäre sie fahrbereit.«
»Vorausgesetzt sie ist überhaupt noch da und fährt nach all den Jahren noch einwandfrei. Und vorausgesetzt wir kämen ungeschoren an Kaltenbach vorbei nach draußen. Tut mir leid, aber das sind mir eindeutig zu viele Fragezeichen«, brummte Bumann.
Martin dachte kurz nach. Er hatte nichts zu verlieren. Würde er sich Eddie ohne Gegenwehr stellen, dann war das gleichbedeutend damit, Paul als Vollwaisen zurückzulassen. Würde er hier bleiben und abwarten, würde Eddie mit der ersten Bahn verschwinden und nicht eher ruhen, bis Paul und Karl tot waren. Die Draisine bot eine Chance, wenn auch nur eine kleine, sein Leben und das von Paul und Karl zu retten. Er musste es versuchen. Unterdessen redete Selma enthusiastisch weiter.
»Wir könnten über das eingeworfene Fenster in der ersten Etage nach draußen gelangen. Eddie wird vermutlich im zentralen Eingangsbereich auf dich warten. Die Chancen stehen also gut, dass wir es schaffen können.«
»Dass ich es schaffen kann«, sagte Martin.
Selma stand auf. Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah Martin entrüstet an.
»Ich und Bumann kommen mit. Die Draisine wird mit einem Wipphandhebel betrieben. Allein ist das erste gerade Stück nur sehr schwer zu schaffen. Jedenfalls wirst du langsam sein. Wenn Eddie dich in dieser Phase sieht - und das kann er, wenn er nur zum Fenster hinaus schaut - wird er dich zu Fuß einholen können. Wenn du später nur noch bergab
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