Monströse Welten 1: Gras
Familie gibt es einmal Streit, Lady Westriding. Wie ich höre, haben Ihr Mann und Ihre Tochter gestern an der Treibjagd teilgenommen?«
»Woher wissen Sie das denn?«
»Diese Information hat sich wie ein Lauffeuer auf Gras herumgesprochen, kaum daß die Jagdgesellschaft von Klive aufgebrochen war«, erwiderte der Bruder. »Ein Diener hat per Telly einen Freund benachrichtigt. Dieser Freund hat dann jemand anders verständigt, und der wiederum hat drei andere angerufen. Schließlich ist ein Bruder in die Arbai-Straße gekommen, in der wir gerade arbeiten, und hat es Bruder Lourai und mir erzählt. O ja, Lady Westriding, jeder weiß es.«
»Die beiden haben sich deswegen gestritten«, merkte sie unnötigerweise an. »Tony und ich machen uns Sorgen wegen ihnen.«
»Das sollten Sie auch«, sagte der Bruder.
Seit dem Abgang von Stella schaute Rillibee in die Richtung, in der sie verschwunden war; er hatte einen Ausdruck des Staunens im Gesicht. Nun setzte er sich unvermittelt hin. »Sie ist entschlossen, auch weiterhin zu reiten?« fragte er.
»Rigo ist dazu entschlossen. Stella nicht minder, wenn auch nicht aus Rigos Motiven. Mein Mann will nicht, daß sie reitet. Die Begründung ist die gleiche, mit der ich ihn vom Reiten abhalten will. Er meint aber, in seinem Fall sei es etwas anderes.« Sie seufzte und warf die Hände in die Luft.
»Es ist eine ziemlich üble und ermüdende Geschichte«, sagte Tony in dem Bestreben, die Ursachen für die heftige Auseinandersetzung darzulegen. »Ständig werden die gleichen Argumente gebracht, aber niemand hört zu.«
»Ich habe auch gehört, daß Rowena, Obermum bon Damfels, sich in Commons befindet«, sagte Bruder Mainoa. »Und Obermun bon Damfels weiß anscheinend nicht, daß sie weg ist.«
»Ihnen entgeht aber auch nichts«, konstatierte Marjorie zerknirscht. »Wissen Sie sonst noch etwas?«
»Nicht mehr als Sie, Lady Westriding. Nicht niemals Sie.«
»Nennen Sie mich Marjorie, Bruder. Bitte. Vater James möchte sich auch noch mit Ihnen unterhalten. Er hat ausdrücklich darum gebeten.«
Bruder Mainoa nickte lächelnd. Es war ihm nämlich auch ein Bedürfnis, mit einem von den Vätern zu sprechen.
Er unterhielt sich mit dem jungen, ruhigen Priester, Vater James – Marjorie hatte ihnen gesagt, er sei Rigos Neffe –, mit Vater Sandoval und auch mit Tony und Marjorie. Das Mittagessen wurde auf der Terrasse in der linden Frühlingsluft serviert. Weder Rigo noch Stella schlossen sich ihnen an. Sie waren unauffindbar.
»Ich hatte insbesondere Sie sprechen wollen, Väter«, gestand Bruder Mainoa mit sonorer Stimme, »denn ich habe eine philosophische Frage, bei der ich Sie um Rat bitten möchte.«
»Ach?« meinte Vater Sandoval in väterlichem Ton. »Sie möchten eine religiös fundierte Antwort?«
»Jawohl«, erwiderte der Bruder. »Die Frage betrifft nichtmenschliche Wesen. Sie mögen sie vielleicht für hypothetisch halten, aber dennoch ist sie wichtig.«
Vater Sandoval neigte den Kopf auf die Seite. »Sie meinen im doktrinären Sinn?«
»Exakt. Ohne praktische Relevanz, aber wichtig im doktrinären Sinn. Bevor ich die Frage stelle, muß ich Sie jedoch erst darum bitten, den Füchsen auf Gras den Rang von fühlenden Wesen zuzugestehen und ihnen auch ein Gewissen zu konzedieren.«
Tony lachte. Marjorie lächelte. Vater Sandoval hingegen war weniger belustigt. »Das kann ich als Basis für eine Ethik-Diskussion akzeptieren.«
Bruder Mainoa nickte zufrieden. »Es handelt sich um die Erbsünde.«
»Erbsünde?« Nun wirkte Vater Sandoval doch belustigt. »Bei den Füchsen?« Er schaute Marjorie lächelnd an, als ob er sich an ihre kürzliche Unterhaltung über dasselbe Thema erinnerte. Sie blickte auf den Teller. Die Dinge, die er gesagt hatte, beschäftigten sie noch immer, und sie wußte nicht, ob die Angelegenheit wirklich so zum Lachen war.
Bruder Mainoa registrierte wohl die Veränderung, die mit ihr vorging, ignorierte sie aber geflissentlich. »Vergessen Sie nicht, daß wir übereingekommen sind, sie als denkende Wesen zu akzeptieren, Väter. Halten Sie sich daran. Betrachten Sie sie als intelligent. So intelligent, wie Sie es sind. Wo wir das nun geklärt haben – lachen Sie nicht, Sir«, rügte er Tony –, »unterstellen wir jetzt, daß die Füchse unter der Vorstellung der Erbsünde leiden. Sie sind Fleischfresser. Ihre Körper sind auf Fleisch angewiesen. Also fressen sie Fleisch. Sie fressen die Peepers, die Larven der Hippae.«
»Sie wissen es doch!«
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