Monströse Welten 1: Gras
Bruder Fuasoi sagte, Shoethais äußerliche Häßlichkeit entspräche lediglich dem Charakter der Menschheit. Er hielt den Menschen bloß den Spiegel vor. Sie waren mißgestaltet und deformiert. Irrläufer der Schöpfung. Intelligenz sollte nicht in solch einer stinkenden, vergänglichen fleischlichen Hülle residieren. Körperliche Existenz war etwas für Tiere, aber nicht für intelligente Wesen, und die Menschheit war ein mißlungenes Experiment. Den wenigen indes, die sich an ihrer Entsorgung beteiligten, winkte eine göttliche Belohnung. Und auf den Rest wartete letztlich das Ende, nach dem ein gesäubertes und gereinigtes Universum für den Neuanfang bereitstand.
Er sah Bodenfahrzeuge, die vom Schiff in Richtung Hafengebäude fuhren. In einem dieser Fahrzeuge würde sich die Lieferung befinden. Bruder Shoethai beschloß, noch für eine Weile an seiner Position zu verharren. Wenn die Menge sich dann zerstreut hatte, würde er zum Frachtbüro hinübergehen. Er hatte Zeit. Wenn der Ältere Bruder Fuasoi erst einmal im Besitz der Lieferung war, würde alles menschliche Leben auf dem Planeten vernichtet werden, aber das dauerte seine Zeit. Die Inkubationszeit währte manchmal recht lange. Es bestand kein Grund zur Eile. Auf eine Stunde mehr oder weniger kam es nicht an. Kichernd nippte Shoethai am Tee. Als er dann sah, wie das Kichern sich auf das Spiegelbild im Fenster auswirkte, hörte er damit auf und drehte den Kopf weg, um sich nicht mehr sehen zu müssen.
Der Ältere Bruder Noazee Fuasoi hing in seinem Büro in der Abtei über dem Schreibtisch und versuchte, die Bauchschmerzen zu unterdrücken. Die zweite Magen-Darm-Transplantation war nicht erfolgreicher gewesen als die erste, obwohl das Büro die Büßer auf maximale Gewebeverträglichkeit untersucht hatte. Mehr hatten die Ärzte hier auf Gras nicht tun können, zumal sie beanstandeten, daß der Spender keine Genehmigung für die Verwertung seines Körpers erteilt hatte, bevor er an einer Kopfverletzung gestorben war, die er sich durch den Sturz von einem Turm zugezogen hatte (diese Version hatte der Ältere Bruder Fuasoi zumindest verbreitet). Es gab keine Gentechnik-Labors auf Gras, und während der Ältere Bruder Noazee Fuasoi nach Heiligkeit zurückgekehrt war, um darauf zu warten, daß man ihm einen Magen klonte, hatte Jorny Shales, der Moldy, das als zu zeitraubend betrachtet.
»Man sollte eigentlich glauben…«, betete er mit schnarrender Stimme eine Litanei herunter, die er immer wiederholte, wenn er Magenschmerzen hatte, »man sollte eigentlich glauben, daß der Schöpfer denen, die Seine Arbeit tun, solchen Verdruß erspart.«
»Wie meinen, Eure Eminenz?« fragte Yavi Foosh von seinem Schreibtisch am Fenster aus. »Wie meinen?«
»Nichts«, sagte der Ältere Bruder schnarrend. »Ich habe nur Magenschmerzen, mehr nicht. Vielleicht habe ich etwas Falsches gegessen.«
Dabei hatte er sich den Magen überhaupt nicht verdorben. Es war der Körper. Vergängliches Fleisch. Gestank und Schmerzen und Fäulnis. Schwach und dumm, mit unzüchtigen Begierden und ekligen Ausscheidungen. Es würde keine Körper mehr geben in der nächsten Schöpfung, jedenfalls nicht für diejenigen, die hier aufgeräumt hatten. Schwitzend packte der Ältere Bruder Fuasoi die Schreibtischkante und dachte an frühere Zeiten und andere Orte, während er das Ende des Krampfes abwartete.
Erst nach der Ankunft im Lager hatte er den Schmerz wirklich zur Kenntnis genommen. Damals war sein Name Jorny gewesen, ein fünfzehnjähriger Junge, der zusammen mit seinem Onkel Shales in das Lager verschleppt worden war. Früher hatte er mit Onkel Shales in dem Fischerdorf gelebt, war zur Schule gegangen, hatte an der Pier geangelt, war bei gutem Wetter mit dem Boot hinaus aufs Meer gefahren und hatte Gerandra Andraws Liebesbriefe geschrieben, der netten kleinen Gerry mit dem knackigen Hintern, wobei er sich fragte, ob er schon alt genug war, es ihr zu besorgen. Tags darauf hatte er sich im Lager wiedergefunden, mit fünfzehn anderen Männern und Jungen in einen Raum gepfercht, ohne Mädchen, Fischen und Onkel Shales.
Die Lagerinsassen waren entweder selbst von der Krankheit befallen oder enge Familienangehörige von Infizierten. Man sagte ihm, daß Onkel Shales im Sterben lag. Jorny mußte solange im Lager bleiben, bis man wußte, ob er auch sterben würde.
Er wollte Onkel Shales besuchen, aber man ließ ihn nicht zu ihm. Also kundschaftete er die Unterkunft und das Bett seines
Weitere Kostenlose Bücher