Monströse Welten 1: Gras
Onkels aus, und dann schlich er sich nächtens an die Rückwand der Baracke. Onkel Shales öffnete das Fenster ein Stück, und dann unterhielten sie sich miteinander. Onkel Shales sagte Jorny, er solle keine Angst haben. Am Ende würde alles gut werden. Jorny hockte unter dem Fenster, wobei ihm die Tränen übers Gesicht liefen; er wollte nicht, daß der Onkel ihn weinen hörte. Eines Nachts antwortete sein Onkel nicht mehr, und das Fenster blieb auch zu; Jorny wartete, bis alle schliefen, und dann schlich er sich ins Gebäude. Er fand den Onkel nicht. Im Bett, wo er gelegen hatte, befand sich nun dieses Ding, dieses Ungeheuer, zum Teil bandagiert; ein Auge schaute hervor, und wo eigentlich der Mund sein sollte, klaffte ein rundes Loch. Der Körper sonderte ein stinkendes Sekret ab.
Als er sich später nach seinem Onkel erkundigte, hieß es, er sei gestorben. Wenn er nun auf Entlassung gehofft hatte, so wurde er enttäuscht. Er wurde am ganzen Körper nach Wunden untersucht, wie die meisten Leute im Lager sie hatten.
Eines Tages predigte ein Moldy im Lager. Er verkündete, das Ende der Menschheit sei nahe. Es sei an der Zeit, daß die Menschen ausgelöscht würden, denn sie seien nur verwestes Fleisch und zerbröselnde Knochen. Es sei an der Zeit, das Universum für die nächste Generation zu säubern. Und jene, die nun starben, würden in der Neuen Schöpfung auferstehen, mit einem Körper aus Licht, schön wie der junge Tag.
Nun wußte Jorny, was mit Onkel Shales geschehen war. Er hatte seinen Körper abgelegt und würde als Lichtgestalt zurückkehren, wie ein Engel. Nun brach Jorny zum erstenmal in seinem Leben in Tränen aus, auf der staubigen Straße des Lagers, in der Deckung eines kümmerlichen Baums. Als der Moldy den Sermon beendet hatte, war er zu ihm gegangen und hatte sich vorgestellt. Er sagte ihm, daß sein Onkel gestorben sei und er das Lager verlassen wolle. Der Mann hatte ihm auf die Schulter geklopft und ihm versprochen, er würde ihn rausholen und zu einem Moldy machen; er müßte sich vorher nicht einmal die Zähne putzen. Zusammen mit dem Mann stieg er in einen Lkw, und man suchte ihn am ganzen Körper nach wunden Stellen ab. Nachdem das Resultat negativ ausgefallen war, versteckten sie ihn unter einer Plane und brachten ihn an einen Ort mit vielen Erwachsenen und Kindern, von denen niemand solche Wunden am Körper hatte. Im Grunde hatten sie ihn gar nicht aus dem Lager schmuggeln müssen. Der Moldy sagte, sie hätten den Lagerkommandanten bestochen. Außerdem hatte er ein Honorar dafür erhalten, daß der Moldy predigen und den Sterbenden Trost spenden durfte.
In dieser Nacht schlief Jorny ein. Immer wenn die Gedanken zum Onkel abschweiften, unterdrückte er sie. Zuerst spielte er noch mit dem Gedanken, sich von seinen Freunden und Bekannten zu verabschieden, aber dann sagte er sich, sie seien ohnehin fast alle tot und ließ es bleiben. Sie waren alle tot und würden bald wiedergeboren werden. Die Moldies sagten, manche Leute seien bereits transformiert worden. Vor Sonnenuntergang erschienen sie manchmal, stachen als Strahlen aus güldenem Licht durch die Wolken. Später wurde Jorny sich dann bewußt, daß das bloß Geschichten waren; es handelte sich nur um Sonnenstrahlen. Aber das tat der Sache keinen Abbruch. Später wurde ihm auch klar, wer dieses Monster auf dem Bett gewesen war, aber da wußte er ohnehin schon über alles Bescheid.
Mit siebzehn hatten die Moldies ihn als Ministranten nach Heiligkeit geschickt, mit dem Auftrag, fleißig zu lernen und Karriere zu machen. Er war Mitglied des Büros für Akzeptable Doktrin geworden. Es waren die Moldies, die mit Bestechung dafür sorgten, daß Heiligkeit ihn nach Gras schickte. Nach Ansicht der Moldies war es an der Zeit, Gras in das Kollektiv der von Menschen besiedelten Welten einzugliedern. Es war an der Zeit, daß Gras gesäubert wurde.
Und nun war er hier und schickte sich an, die Pest zu verbreiten, an der alle gestorben waren, die ihm etwas bedeutet hatten. Wenn Onkel Shales die Pest verdient hatte, dann hatten alle anderen sie auch verdient. Wenn Onkel Shales gestorben war, mußten auch alle anderen sterben.
Er schlug die Augen auf und stellte überrascht fest, daß sie feucht waren. Die Magenkrämpfe reduzierten sich auf den üblichen dumpfen Schmerz. Vor dem Schreibtisch stand sein Vorgesetzter bei Heiligkeit, der Ältere Bruder Jhamless Zoe.
»Du siehst nicht gut aus, Fuasoi.«
»Es geht schon, Älterer Bruder. Nur ein
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