Monströse Welten 1: Gras
rief Marjorie. »Sie kennen doch das Geheimnis der Peepers.«
»Ich kenne es, Madam. Nicht viele wissen Bescheid, aber ich schon. Und nehmen wir an, die Füchse wissen es auch. Sie fressen sie.«
»Und die Füchse betrachten das als Sünde?« fragte Tony.
»Nun, junger Herr, das ist ein interessanter Aspekt. Wenn es sich bei den Füchsen und Peepers um Menschen handelte, würden Sie es auch für eine Sünde halten. Wenn jemand ein ungeborenes Kind tötet, dann gilt das nach Ihrem Glauben und der Lehre von Heiligkeit als Mord, nicht wahr? Die Larven der Hippae sind keine denkenden Wesen. Sie haben so wenig Intelligenz wie tote Materie. Doch wenn sie groß, fett und bewegungsunfähig werden, durchlaufen sie ihre erste Metamorphose und verwandeln sich in Hunde.«
»Aha.« Über diesen Sachverhalt war Vater Sandoval bereits von Marjorie aufgeklärt worden; er wußte also, worauf Bruder Mainoa hinauswollte.
»Manche sagen, die Hunde seien denkende Wesen. Sicher trifft das bis zu einem gewissen Grad auch zu. Ich glaube, daß sie zumindest über ein Bewußtsein verfügen. Ob sie nun im eigentlichen Sinn intelligent sind oder nicht, sie durchlaufen eine zweite Metamorphose und verwandeln sich in etwas anderes…«
»Reittiere.« Marjorie nickte. »Ich habe sie schon gesehen.«
»Natürlich. Lady Westriding weiß in der Tiefe ihres Herzens, und wir alle wissen in der Tiefe unseres Herzens, daß die Hippae intelligente Wesen sind. Wir haben das zuvor schon diskutiert, nicht wahr? Wenn die Füchse die Peepers fressen, fressen sie also den Nachwuchs einer intelligenten Rasse.«
»Aber wenn sie das wissen, weshalb…«
»Wen sollten sie denn sonst fressen? Etwa die Reittiere? Die Hippae selbst? Es gibt nur wenige andere Tierarten, und die sind entweder zu schnell oder zu klein, als daß sie ihren Nahrungsbedarf decken würden. Und die Grazers wiederum sind zu groß. Nein, die Füchse fressen die Peepers, weil sie leicht zu fangen und in großer Zahl verfügbar sind. Wenn alle Peepers die Metamorphose durchlaufen würden, käme es auf dieser Welt zu einer Überpopulation an Hippae, und die Geschichte von Terra lehrt uns, welche schrecklichen Folgen eine religiös motivierte, schrankenlose Vermehrung zeitigt. Das ist aber auch gar nicht der Punkt. Der Punkt ist, daß die Füchse mit Genuß Peepers fressen, aber wir müssen auch berücksichtigen, daß die Füchse in den vergangenen Jahren, seit sie mit der Ethik der Menschen konfrontiert wurden, ein Gewissen entwickelt haben. Sie haben gelernt, Schuldgefühle zu empfinden.«
»Die entwickelten sie erst, als die Menschen hier eintrafen?«
»Das nehme ich zumindest an. Vermutlich waren sie auch vorher schon intelligent, hatten aber keine Ethik. Die haben sie von den Menschen erworben.«
»Dann haben sie das aber von den Commoners abgeschaut«, sagte Tony sarkastisch. »Bei den bons habe ich nämlich noch nicht allzu viel davon gesehen.«
Bruder Mainoa lachte. »Von den Commoners. Sicher. Einigen wir uns also darauf, daß sie die Ethik von den Commoners erworben haben.«
»Ihre Glaubensbrüder«, sagte Marjorie stirnrunzelnd, »sind anscheinend der Ansicht, die Erbsünde der Menschheit hätte… äh… mit Liebe zu tun gehabt.«
»Und die Füchse, die diese Doktrin von irgend jemandem aufgegriffen haben – der Himmel weiß von wem –, haben sie nun in den kulinarischen Bereich verschoben. Angenommen, sie hätten sich in dieser Sache an mich gewandt. ›Bruder Mainoa‹, hätten sie gesagt, ›wir würden gern wissen, ob wir von der Erbsünde betroffen sind.‹
Darauf hätte ich ihnen geantwortet, daß ich die Doktrin der Erbsünde überhaupt nicht kenne, weil es keine von Heiligkeit vertretene Doktrin ist. ›Aber ich kenne jemanden, der Bescheid weiß‹, hätte ich ihnen gesagt. ›Vater Sandoval, ein Altkatholik, müßte sich damit auskennen‹; und dann wollten sie die Angelegenheit erörtern.«
»Die Angelegenheit erörtern?«
»Nun, in einer Art Sprache. Postulieren wir, sie hätten eine Möglichkeit gefunden, zu kommunizieren.«
Vater Sandoval zog eine Augenbraue hoch und lehnte sich auf dem Stuhl zurück; er hatte die Finger zu einer Art Käfig zusammengeführt und betrachtete sie, als ob seine Gedanken darin eingesperrt wären. »Ich würde ihnen sagen«, verkündete er nach einer längeren Pause, »daß ihr Schuldgefühl rein gar nichts mit der Erbsünde zu tun hat. Es sind ihre eigenen Eltern, die eine Sünde begangen haben, falls es überhaupt eine
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