Monströse Welten 1: Gras
sich an, zunächst verwirrt, dann ungläubig.
Marjorie lächelte. Gut. Trotz seines umfangreichen Wissens war er nicht allwissend.
Es war Rillibee, der fast beiläufig sagte: »Das sieht aus wie die Wörter in den Arbai-Büchern, nicht wahr, Bruder?«
»Die sphärischen Peepers!« rief Marjorie aus; plötzlich erinnerte sie sich, wo sie die rundlichen Peepers und heraldischen Hunde schon einmal gesehen hatte: sie waren in die Fassaden der Arbai-Häuser gemeißelt. Das gewundene Design hatte in der Tat Ähnlichkeit mit den Wörtern in den Arbai-Büchern – oder mit den Ranken an den Häuserfassaden. Nachdem sie diese Feststellung publik gemacht hatte, fielen alle in ein nachdenkliches Schweigen.
Obwohl sie dann das Thema wechselten und sich unter anderem auch mit der Frage befaßten, ob unerklärliche Todesfälle auf Gras aufgetreten seien (denn Marjorie und Tony waren sich ihres eigentlichen Auftrags durchaus bewußt), ging das Muster in Marjories Aufzeichnungsgerät niemandem aus dem Kopf. Beim Abschied sagte Bruder Mainoa, er wollte es einem Freund zeigen, und Marjorie lieh ihm das Gerät aus, wobei sie unterstellte, daß es sich bei diesem Freund auch um einen Grünen Bruder handelte.
Erst nachdem Bruder Mainoa schon gegangen war, fragte sie sich, weshalb er ihr verschwiegen hatte, daß er die Kavernen der Hippae auch schon gesehen hatte.
Als Rigo am nächsten Tag wieder zur Jagd aufbrach, zur letzten Jagd, die von Klive ausgerichtet wurde, wollte Stella, die oft an Sylvan gedacht hatte, sich ihm anschließen.
»Du hast doch gesagt, du wolltest das Leben der Kinder nicht gefährden«, erinnerte Marjorie ihn. »Rigo, du hast es versprochen.« Sie weinte nicht. Sie schrie ihn auch nicht an. Sie erinnerte ihn nur daran. Und doch standen ihr Tränen in den Augen.
Ihm war nicht mehr daran gelegen, sie zum Weinen zu bringen, und Tränen der Kinder wegen hätten ihm ohnehin keine Befriedigung verschafft. »Das stimmt auch«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Ich hätte euch nie befohlen, mit auf die Jagd zu gehen. Aber sie will es doch. Das ist ein Unterschied.«
»Sie könnte dabei umkommen, Rigo.«
»Das könnte jedem von uns passieren«, erwiderte er nüchtern, wobei er mit seiner Gestik ein feindliches Universum beschwor, das sie alle zum Tode verurteilt hatte. »Aber Stella wird es schaffen. Stavenger bon Damfels hat gesagt, sie sei eine brillante Reiterin.« Seinem Tonfall nach zu urteilen, war er sehr stolz auf dieses Kompliment. »Stavenger hat gesagt, ich solle sie das nächstemal wieder mitbringen.«
»Stavenger«, sagte Marjorie, wobei der Name ihr auf der Zunge brannte. »Der Mann hat Rowena halb totgeschlagen und wollte sie verhungern lassen. Und er weiß noch nicht einmal, daß sie schon längst fort ist. Ein Prachtkerl, dieser Stavenger. Weshalb riskierst du Stellas Leben nur auf seine Aussage hin?«
»Oh, Mutter«, sagte Stella genauso stur wie ihr Vater. »Hör auf damit! Ich werde gehen, basta!«
Von den Stufen, die zur Terrasse führten, sah Marjorie ihnen nach, bis der Gleiter nur noch als ein Punkt am Himmel stand und schließlich ganz verschwand. Als sie gerade gehen wollte, erschien Persun Pollut hinter ihr.
»Lady…«
»Ja, Persun?«
»Auf dem Telly ist eine Nachricht für Sie eingegangen. Sylvan bon Damfels hat gefragt, ob Sie auch an der Jagd teilnehmen würden. Ich habe ihm gesagt, daß Sie nicht mitkämen. Daraufhin hat er gesagt, daß er Ihnen heute nachmittag einen Besuch abstatten würde.«
»Vielleicht bringt er Neuigkeiten von Rowena«, sagte Marjorie betrübt, wobei sie noch immer in den leeren Himmel schaute. »Wenn er kommt, führen Sie ihn in mein Arbeitszimmer.«
Er brachte wirklich Neuigkeiten von Rowena. Zu Marjories Beruhigung sagte er ihr, daß Rowenas körperliche Wunden heilten. Die seelischen Verletzungen gingen jedoch tiefer. Der Wunsch, Dimity zu finden, war zu einer fixen Idee geworden. Sie wollte nicht akzeptieren, daß das Mädchen für immer verloren war; und falls sie doch wieder auftauchen sollte, dann womöglich in einem solchen Zustand, daß der Tod die gnädigere Alternative gewesen wäre.
Aber um das zu erörtern, war Sylvan eigentlich gar nicht gekommen. Bald ließ er das schmerzliche Thema Rowena und Dimity ruhen und kam auf etwas anderes zu sprechen. Es war schon so lange her, daß Marjorie das Objekt romantischer Begierde gewesen war, daß sie erst begriff, was er wollte, als er sein Anliegen schon fast vollständig vorgetragen hatte,
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