Monströse Welten 1: Gras
Auftakt für die späteren Ereignisse war. Viel später sollte diese Ruhe ein Synonym für Tragödie werden, so daß ihm zu viel Stille, zu viel Schweigen unheimlich wurden. Die schräg durch die großen Fenster ins Wohnzimmer einfallenden Strahlen der Abendsonne zeichneten goldene Kreise auf den aus breiten Dielen gezimmerten Boden und auf das Schloß, das Rillibee am Abend zuvor gebaut hatte. Er zerstörte es, sammelte die Bauklötze auf und richtete den Teppich wieder aus, wobei er sorgfältig mit den Fingern durch die Fransen fuhr, damit sie auch schön parallel lagen. Über ihm rutschte der Papagei auf der Stange herum. Rillibee sah zu ihm hoch, worauf der Vogel flüsterte: ›Oh, verdammt. Verdammt. O Gott. O nein.‹ Er hatte fast den Eindruck, als ob Miriam gesprochen hätte.
Die Zeit verstrich. Schließlich wurde es dunkel, und der Magen forderte unüberhörbar sein Recht. Er ging in die Küche, wo sein Vater und Song noch immer auf Mom warteten.
»Es ist Essenszeit«, beschwerte er sich.
»Gut, dann essen wir«, sagte sein Vater mit betrübter Stimme. »Eure Mutter würde nicht wollen, daß wir auf sie warten. Sie ist sicher aufgehalten worden.«
Sie wollten gerade Platz nehmen, als es klingelte. Jemand kam durch das Tor. Dad stand auf und ging mit einem Lächeln im Gesicht zur Tür. Rillibee entspannte sich. Wahrscheinlich hatte sie noch eingekauft. Manchmal präsentierte sie auch potentiellen Kunden Muster ihrer Töpferware. Das war sicher die Erklärung für ihr langes Fernbleiben.
Aber die Stimme, die nun an der Haustür ertönte, gehörte nicht Mom. Es war ein Mann, der sich mit lauter Stimme nach ihrem Aufenthaltsort erkundigte.
»Miriam ist noch nicht zurück«, sagte Joshua nachdrücklich. »Wir wissen nicht, wo sie ist.« Dann stieß er einen zornigen Ruf aus, als der Mann sich an ihm vorbeischob und das Haus betrat.
»Was glauben Sie, was Sie da tun?«
»Nachsehen«, antwortete der Mann. Er war ein großer Mann. Größer als Dad. In eine weiße Uniform gekleidet, mit einer Maske um den Hals und grünen Schulterstücken. »Laßt euch nicht beim Essen stören, Kinder«, sagte er. »Es dauert nur einen Augenblick.« Sprach’s, durchquerte die Küche und betrat dann die Schlafzimmer. Rillibee hörte, wie er die Schränke öffnete und wieder schloß; dann verließ der Mann das Haus und ging hinüber in die Werkstatt. Sie hörten den Lärm, den er dort veranstaltete. Wie in Zeitlupe legte Rillibee die Gabel hin und schaute seinen Dad an, der plötzlich so blaß geworden war.
Dann verließ der Mann die Werkstatt und verharrte für eine Weile im Hof. Er schaute sich um, ging wieder zur Haustür und sagte Dad, er solle herauskommen. Obwohl er leise sprach, verstand Rillibee einzelne Worte, ›Behörden‹, ›Strafe‹ und ›Gewahrsam‹.
Rillibee verstummte.
Bruder Mainoa wartete eine Weile und sagte dann: »Ja, so reden sie. Leute, die anderen Leuten sagen, was sie zu tun haben. Lauter machtvolle Worte. Manchmal glaube ich sogar, daß sie Worte statt Blut in den Adern haben.«
Rillibee schwieg.
»Fällt dir schwer, darüber zu sprechen?«
Rillibee nickte schluckend. Er bekam keinen Ton heraus.
»Schon gut. Warte, bis du dich besser fühlst. Dann kannst du es mir erzählen.«
Sie flogen weiter, wobei der Gleiter in der Thermik leicht schlingerte. Nach einer Weile setzte Rillibee die Erzählung fort.
Dann war der große Mann verschwunden. Dad ging ins Wohnzimmer und setzte sich wieder an den Tisch. Sein Gesicht war starr und maskenhaft.
»Dad?«
»Nein, Rillibee. Stell jetzt keine Fragen. Der Mann hat nach deiner Mutter gesucht, und sie war nicht hier. Mehr weiß ich im Moment auch nicht.«
»Aber wer war er?«
»Ein Mann vom Gesundheitsamt.«
»Oh, verdammt. O Gott«, kommentierte der Papagei.
Joshua warf einen Suppenlöffel nach dem Vogel. Er hinterließ einen roten Klecks an der Wand und fiel zu Boden. Der Papagei schaute sie nur an. Er rollte die schwarzen Augen, während er etwas vor sich hinflüsterte.
Der Mann kam nicht wieder. Mom kam aber auch nicht nach Hause. Dad lief im Zimmer hin und her, wobei er ab und zu stehenblieb, um über das Comnet Leute zu kontaktieren. Bekannte von Mutter. Ihre Schwester in Rattlesnake. Ihre Freunde.
Als die Schlafenszeit nahte, schaute Rillibee aus dem Fenster seines Zimmers und sah den draußen abgestellten Gleiter. Der Mann observierte das Haus. Es dauerte lange, bis Rillibee zu Bett ging. Er versuchte, in der Dunkelheit die
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