Monströse Welten 1: Gras
Telearbeitsplätzen oder in einem der technischen Zentren entlang der Oberflächenroute. Für den Weg zur Arbeit waren überdachte Pfade angelegt worden. Wenn sie weitere Strecken zurücklegen mußten, nahmen sie einen Gleiter. Joshua und Miriam hingegen ritten auf Eseln; man faßte es nicht. Esel. Das hatte zur Folge, daß Rillibees Klassenkameraden sich nicht mehr einkriegten über die Erdfreaks, die selbst angebaute Nahrungsmittel aßen, keine schmutzigen Wörter im Munde führten und keine schrillen Klamotten trugen. Zum erstenmal war Rillibee in der vierten Kategorie mit der Bezeichnung ›Erdfreak‹ konfrontiert worden. Seitdem wollte es schier kein Ende nehmen.
Rillibee nahm sich das mehr zu Herzen als Song. Sie hatte einen Freund, der aus einer anderen Erdfreak-Familie stammte, drüben in Rattlesnake, und die beiden kamen gut miteinander zurecht. Jason war sein Name. Noch so ein antiker Name. Jason führte durchaus schlimme Wörter im Munde, jedoch nie in Gegenwart von Joshua. Das haßte Joshua nämlich wie die Pest: unflätige Bemerkungen, und auch Rillibee hielt sich in seiner Anwesenheit damit zurück.
»Weshalb habt ihr mich denn Rillibee genannt?« beklagte er sich bei seiner Mutter, als er in der Schule einen besonders schlimmen Tag erwischt und jeder ihn wegen seines Namens, der Kleidung und der Familie verspottet hatte. »Wieso Rillibee?«
»Das ist das Murmeln, das vom Wasser des Baches verursacht wird, wenn es über die Steine fließt«, erklärte sie. »Ich hatte es in der Nacht gehört, bevor du geboren wurdest.«
Wie konnte er ihr bei dieser Erklärung noch böse sein? Sie stand nur da und lächelte ihn an, holte heiße Plätzchen aus dem Ofen, häufte sie auf einen Teller und stellte ihm einen Becher Milch hin, die sie zuvor im Bach gekühlt hatte. »Rillibee.«
»Die Kinder in der Schule machen sich darüber lustig«, murmelte er mit vollem Mund.
»Denke ich mir«, sagte sie. »Sie würden sich auch über Miriam lustig machen. Und wie heißen sie heute? Brom. Und Bolt. Und Rym. Und Jolt.«
»Nicht Jolt.«
»Oh. Entschuldigung. Nicht Jolt.« Sie lachte. »Diese Namen klingen wie Waschmaschinengeräusche.«
Er mußte ihr recht geben. Mit ›Bolt‹ assoziierte er das Geräusch eines Waschprogramms, das auch das letzte Eselshaar aus den Socken holte. Bei ›Jolt‹ verstärkte dieser Eindruck sich noch.
Eines Tages hatte Joshua einen Papagei mit nach Hause gebracht. Es war ein kleiner grauer Papagei mit ein paar grünen Federn.
»Was ist das?« hatte Miriam gefragt. »Joshua?«
»Erinnerst du dich noch an diese Schränke, die ich für die Brants gemacht habe?«
»Natürlich erinnere ich mich.«
»Sie haben ihm wirklich gefallen. Er hat mir den Vogel als Bonus gegeben.«
Verärgert schüttelte Miriam den Kopf. Rillibee wußte, daß sie in diesem Moment an die Arbeit dachte, die der Vogel ihr machen würde. »War wohl eher so, daß er ihn loswerden wollte.«
Joshua steckte die Hände in die Taschen und betrachtete den Vogel, der auf einer Stange neben dem Kamin hockte. »Er hat gesagt, der Papagei sei wertvoll.«
Miriam schaute den Vogel an und preßte die Lippen zusammen, als ob sie etwas Unfeines sagen wollte.
»Scheiße«, sagte der Vogel vernehmlich. »Exkrement.« Dann schiß er auf den Boden.
Da war es um Miriams Beherrschung geschehen. Sie krümmte sich vor Lachen.
Joshua lief rot an und brachte kein Wort hervor.
»Nun, zumindest spricht er«, stellte Miriam fest.
»Ich bringe ihn zurück! Gleich nach dem Abendessen.«
»Ach was, Josh. Wir werden ihm eine gepflegtere Ausdrucksweise beibringen. Der Vogel weiß doch gar nicht, was er sagt. Er tut es ja nicht mit Absicht. Er imitiert nur Laute, die er einmal gehört hat.«
»Hier hat er das aber nicht gehört.«
»Anscheinend kennt er es von früher.«
Also behielten sie den Papagei. Sein Vokabular wurde keineswegs kultivierter; wenigstens hielt er sich aber zurück. Doch jedesmal, wenn Miriam sich aufregte und einen Fluch zwischen den Zähnen zerbiß, konnte man Gift darauf nehmen, daß der Vogel weniger Skrupel hatte. Rillibee wußte schon im voraus, was dann kam. Immer, wenn Miriam in Rage geriet, sagte der Papagei mit verträumter Stimme ›Scheiße‹, ›Verdammt‹ und einmal sogar ›Fuck‹. Zum Glück war Joshua nicht anwesend, sonst hätte der Vogel das womöglich nicht überlebt.
Im Alter von elf Jahren rückte Rillibee in die fünfte Kategorie auf und wurde früher als die meisten Gleichaltrigen eine
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