Monströse Welten 2: Hobbs Land
der genauso runzlig war wie das Gesicht und fragte sich, wer sich wohl die Mühe gemacht hatte, ihm einen Brief zu schicken, wo man doch genausogut ein an den Gelehrten Cringh adressiertes Memo im Archiv hätte ablegen können.
Wie interessant! Er hatte gleich mehrere Antworten parat.
Vielleicht deshalb, weil ein im Archiv abgelegtes Memo nicht vor unbefugtem Zugriff sicher war. Offiziell waren solche Dateien zwar geschützt, aber in der Praxis sah es anders aus. Manche Leute schreckten in ihrer Neugier nicht einmal davor zurück, in Nachrichten, die für Fremde bestimmt waren, herumzuschnüffeln!
Vielleicht auch deshalb, weil der Absender ein Hobby-Dekorateur war, wie hieß das gleich noch mal, ein Kalligraph, dem es Freude bereitete, Worte zu Papier zu bringen.
Vielleicht auch deshalb, weil die Überbringung einer physikalischen Botschaft ein höheres Gewicht besaß als die schlichte Ablage im Archiv.
Vielleicht auch deshalb, weil das Verfassen der Botschaft eine spirituelle Bedeutung hatte, die Cringh bisher noch nicht bewußt geworden war.
Vielleicht…
»Wollen Sie ihn denn nicht aufmachen?« fragte Cringhs Lieblings-Assistentin und beugte sich über seine linke Schulter.
»Spielverderber«, grunzte Cringh. »Ich wollte zuerst raten, was drinsteht.«
»Vielleicht ist es dringend«, sagte die Assistentin schnurrend. Ihr Name war Lurilile. Trotz ihrer zauberhaften Erscheinung war sie in der Sache knallhart. Sie hatte das Gesicht eines gefallenen Engels. Sie stammte von Ahabar, was indes nur ihr und ihren Auftraggebern bekannt war. Königin Wilhulmia kannte sie natürlich auch und machte sich große Sorgen wegen ihres Aufenthalts auf Authority.
»Vielleicht ist es dringend…«, wiederholte Lurilile. »Was steht denn drin?«
Cringh nickte bedächtig. Daran, daß es vielleicht dringend war, hatte er noch gar nicht gedacht.
Er berührte den Umschlag, der die Kompatibilität seiner Zellstruktur mit den Spezifikationen des Absenders erkannte und sich entlang einer Naht öffnete, wobei es kurz zischte und ein unangenehmer Geruch aufstieg.
»Ninfadel?« fragte Lurilile angewidert, als ob jemand gefurzt hätte.
Cringh überprüfte den Inhalt und schüttelte den Kopf. »Chowdari«, sagte er. »Von Reticingh; er will den Brief in der Badewanne verfaßt haben. Mir ist aber nicht ganz klar, weshalb er mir das überhaupt mitteilt.«
»Nun?«
»Der Umschlag enthält die Kopie eines Berichts, den jemand namens Shanrandinore Damzel an den Zirkel der Skrutatoren geschickt hat, zuzüglich einer Reihe von Fragen, die Reticingh gestellt hat. Er bittet mich um eine Stellungnahme. Uns. Er möchte wissen, was wir davon halten. Inoffiziell.«
»Und wer ist ›wir‹? Die sechs Hoch-Baidee des Religionsrats? Oder die drei Baidee des Theologischen Konzils? Oder der ganze Offizielle Rat?«
»Der ganze OR. Reticingh betont jedoch, daß es sich um eine informelle Anfrage handelt.«
»Wie kann jemand vom Offiziellen Rat eine inoffizielle Antwort erwarten?«
»Im Grunde ist das völlig egal. Auf offizielle Anfragen reagieren sie ohnehin nicht.«
»Scheiße«, sagte Lurilile, schürzte die Lippen und warf ihm eine Kußhand zu. »Jeder weiß das.«
»Wäre vielleicht ganz spaßig herauszufinden, wie es um die Intelligenz des OR bestellt ist.«
»Wäre vielleicht ganz spaßig herauszufinden, ob es den OR überhaupt noch gibt.«
»Das auch.«
»Wenn die Annahme von Bestechungsgeldern indes ein Indiz für seine Existenz ist, dann steht der OR zumindest teilweise gut im Futter.«
Cringh lächelte milde. Seine Kollegen von Phansure nahmen die Religion nicht ernst genug, als daß sie Bedenken gehabt hätten, sich korrumpieren zu lassen. Der Absolute Bischof von Ahabar indes, sein Kollege, war gegen solche Versuche sicher immun. Ebenso wie die meisten Xenotheo-dingsda. Lurilile bemühte sich schon seit einem Jahr, den korrupten Theologen auf die Schliche zu kommen, doch Notadamdirabong wollte ihr keine Namen nennen. Er genoß ihre Anwesenheit viel zu sehr, als daß er zugelassen hätte, daß sie sich auswärts als Fahnderin betätigte.
»Wäre interessant, es herauszufinden«, wiederholte er und erhob sich vom Stuhl, auf dem er die letzten Stunden gesessen hatte.
»Wollen Sie den Brief nicht hier lesen?«
»In meiner Suite. Außerdem ist es fast Zeit zum Abendessen.«
»Das möchte ich auf keinen Fall verpassen«, schnurrte Lurilile und versetzte dem wohlgenährten Hohen Gelehrten einen ansatzweisen Rippenstoß. »Nein,
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