Monströse Welten 2: Hobbs Land
Dominanz einer Lehrmeinung, was sich in der über tausendjährigen Geschichte dieses Gremiums als wesentlicher Stabilitätsfaktor erwiesen hatte.
Gegenwärtig gehörten dem Rat ein halbes Dutzend Hoch-Baidee, ein Unter-Baidee und jeweils zwei Vertreter diverser Phansuri-Sekten an, welche die ganze Sache eher als geselliges Beisammensein betrachteten. Die Eingeborenenreligionen wurden von den Xenotheologen repräsentiert, die intensive Feldforschungen bei den Glothee und Hosmer und weniger intensive Studien bei den Porsa betrieben hatten. Einige Forscher hatten diese Religionen, und sogar mit einer gewissen Berechtigung, als ›Heilige Scheiße‹ klassifiziert. Die Staatskirche von Ahabar war durch einen Absoluten Bischof und drei Importunatoren angemessen vertreten. Nachdem die Voorstoder sich auf Ahabar niedergelassen hatten, war der Rat um einen Propheten und Priester erweitert worden, und Voorstod hatte bisher nicht darauf bestanden, daß die Zahl seiner Repräsentanten erhöht wurde. »Die Wahrheit«, so sagten sie, »kann nicht numerisch repräsentiert werden.«
Jeder Repräsentant verfügte über eine Anzahl Verwaltungsassistenten, und diese wiederum hatten Berater, Senior- und Juniorforscher, Referenten, Kaplane, Seher, Orakel und dergleichen an ihrer Seite. Mit der Zeit hatte sich eine Routine eingestellt, bei der die Personen, deren Interesse an der Religion sich auf die Sache an sich bezog (und nicht auf die Instrumentalisierung der Religion zu gesellschaftlichen, politischen, militärischen oder persönlichen Zwecken), sich von Zeit zu Zeit beim Essen über ihre Forschungen austauschten, während die Wissenschaftlichen Mitarbeiter den nicht enden wollenden Papierkram erledigten, der noch immer so genannt wurde, obwohl Akten mittlerweile weitestgehend durch Computer ersetzt worden waren.
Angelegenheiten, die tatsächlich oder auch nur scheinbar einer Entscheidung bedurften, wurden an den Offiziellen Rat oder OR weitergeleitet. Hierbei handelte es sich um eine Chiffre für die Leute beziehungsweise ihre Nachfolger, die ursprünglich mit der Beratung von Authority betraut worden waren. Der Religionsrat bestand, einschließlich aller Ausschüsse und Unterabteilungen, aus mehreren tausend Personen. Der Offizielle Rat hingegen bestand aus dreißig Personen, wobei diese Zahl aufgrund von Dienstreisen und Todesfällen jedoch immer etwas schwankte.
Niemand wußte mehr, wann der Offizielle Rat zum letzten Mal getagt hatte, auch wenn den Mitgliedern noch präsent war, daß der Anlaß der letzten Konferenz die Erörterung eines Voorstod-Problems gewesen war. Tagungsort war die Große Bibliothek des Rats gewesen, wo voraussichtlich auch alle zukünftigen Besprechungen stattfinden würden. Ansonsten wurde die Bibliothek nur von vereinzelten Wissenschaftlern benutzt und, seltener, von externen Gelehrten besucht. In der Regel war sie aber leer.
Da mußte man auch schon über die Beharrlichkeit und märtyrerhafte Attitüde des Boten verfügen, der nach langem Suchen endlich das Mitglied von Authority, das Mitglied des Rats und den Hohen Gelehrten, Notadamdirabong Cringh, an einem der langen Tische in den stillen Gewölben ausfindig gemacht hatte. Cringh brütete über einem echten Buch, einem verstaubten Folianten, den einzulesen der Scanner nur mit Mühe imstande war; es dauerte eine Weile, bis er den vor ihm stehenden rotwangigen und leicht pikierten Boten überhaupt bemerkte.
»Aaah, ja«, sagte er schließlich, nachdem der Bote so lange vor seiner Assistentin herumgehampelt war, daß diese auf ihn aufmerksam wurde und ihren Chef anstupste. »Aaah, ja.«
»Eine Botschaft, Hoher Gelehrter. Streng vertraulich.« Der Bote streckte das Skalpell aus, und im Tausch gegen ein paar Hautzellen empfing Cringh ein rechteckiges, metallisches Objekt, das er nach eingehender Betrachtung als einen Umschlag identifizierte. Wahrscheinlich enthielt er ein beschriebenes Blatt Papier. Er erinnerte sich nicht, jemals einen Briefumschlag in Händen gehalten zu haben, obwohl er solche Objekte natürlich schon im Museum gesehen hatte und auch wußte, wie man sie handhabte.
Höchst interessant, sagte er sich, kniff die Augen zusammen und schürzte die Lippen, wobei sein Gesicht sich in Falten legte. Notadamdirabong Cringh war ein alter Mann mit einem extrem runzligen Gesicht. Er kokettierte oftmals damit, daß er mehrere Jahrzehnte jünger war, als er aussah, obwohl dieser Wunsch unlogisch war. Er fuhr sich über den kahlen Schädel,
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