Monströse Welten 3: Toleranz
Stille öffnete sie die Augen und sah aus dem Fenster auf die Sterne. Sie war teils erstaunt, teils zornig. Sie hatte das geplant! Sie hatte vorgehabt, das zu tun; nun, vielleicht nicht ganz so, aber so ähnlich. Aber sie hatte nicht geplant… hatte nicht geplant, daß der Himmel herabstürzte. Verdammt. Wieso hatte das passieren müssen? Wieso hatte sie das getan? Wieso hatte sie geglaubt, sie könne vortäuschen… und dann doch nicht?
Tränen des Zorns traten ihr in die Augen, und sie wischte sie mit der einen Hand weg, während sie mit der anderen nach der Reisetasche griff und den Kamm ertastete, der ganz oben lag, neben dem Würfel, den Boarmus ihr gegeben hatte. Sie zog die Hand heraus, wobei sie den Würfel in der Faust verborgen hatte und den Kamm zwischen den Fingern hielt.
»Danivon«, sagte sie mit fester Stimme, die ihr nicht wie die eigene vorkam.
»Fringe«, flüsterte er schmeichelnd und zärtlich.
Sie sträubte sich, als er den Mund an ihr Ohr legte. »Boarmus hat mir eine Botschaft für dich gegeben.«
Er wollte sich aufrichten, doch sie drückte ihn mit ihrem ganzen Gewicht nieder; er durfte sich auf keinen Fall bewegen…
»Geheim, Danivon. Er glaubt, daß er beobachtet wird«, flüsterte sie. »Vielleicht werden wir auch beobachtet. Die Nachricht ist hier in meiner Hand. Nimm sie. Hör sie erst dann ab, wenn du allein bist und niemand dich sieht. Nicht einmal Curvis.«
»Fringe«, murmelte er wie in einem Traum.
»Pssst.« Sie legte sich neben ihn, schloß seine Hand um den Würfel und hielt sie fest. Im nächsten Moment atmete er tief durch und glitt wieder in den Halbschlaf ab. Sie setzte sich auf und kämmte sich das Haar, wobei der Kamm ihr knisternd durch den Schopf fuhr. Sie waren zwar unbeobachtet, aber für den Fall… nur für den Fall. Sie kämmte sich nur das Haar. Einen Zopf flocht sie nicht, weil sie keine Beauftragte war, jedenfalls nicht hier in Flachwasser. Sie war nur eine Frau, die ihren Liebhaber küßte und sich das Haar kämmte. Das war alles. Sollten die Spion-Augen doch glauben, was sie wollten! Sie suchte in dem Kleidergewirr nach der Haarspange, machte sich einen Knoten ins Haar und schob die Spange hindurch, wobei sie das Gefühl hatte, daß die Zinken sich in den Kopf bohrten.
Dann kam sie erst einmal wieder zur Besinnung, ordnete die Kleider, die Gefühle und ihr ganzes Selbst. Also. Was sollte sie nun tun? Sie hatte sich geschworen, sich nicht mit Danivon Luze einzulassen, und nun war es doch geschehen. Sie hatte es geschehen lassen. Sie hatte sich etwas vorgemacht. Hatte als Pflicht bezeichnet, was wahrscheinlich die ganze Zeit Begierde gewesen war. Sie bezeichnete es nicht als Liebe, weit entfernt, auch wenn sie sich wieder zu ihm legen und sich wieder fallen lassen wollte. Sie wollte sich von ihm nähren, ihren Hunger mit ihm stillen, mit ihm verschmelzen und sich in ihm verwurzeln. Eins mit ihm sein. Das mußte Liebe sein, wenn man sich so fühlte.
Zumindest hatte Souile das einmal gesagt. Liebe war, wenn man innig mit dem andern verbunden sein wollte. Nun, in Souiles Fall hatte das jedenfalls nicht funktioniert. Es war Bedauern, Kummer, Liebe, die einen überwältigte, bis man sich nicht mehr bewegen konnte, die einen niederdrückte, bis man sich nicht mehr wehrte, und die Besitz von einem ergriff, wie Danivon es getan hatte. Wie die Götter von Hobbs Land. Sie übernahmen einen. Fraßen einen auf und raubten einem den Verstand, bis man nicht mehr wußte, daß man überhaupt existierte!
Sie holte tief Luft und sagte sich, daß sie sich nicht übernehmen lassen würde. Wenn es wirklich geschehen war, dann wäre es ein Fehler, also war es auch niemals geschehen. Sie hatte Danivon die Nachricht übermittelt, mehr nicht. Und ein wenig geschauspielert. Vergiß es. Es ist nichts passiert.
Sie nahm eine Decke und schlich in den Lichthof, wo sie sich in einen bequemen Sessel setzte und die Lichter betrachtete, die sich zwischen den Seerosen bewegten. Das waren die Leute von Flachwasser, die mit Fackeln und Speeren fischten, wobei die Korakel sich wie schwarze Käfer mit leuchtenden Augen in der Lagune bewegten. Nach einer Weile schlief sie ein, hypnotisiert von den sich bewegenden Lichtern.
Danivon schlief auch, mit einem Lächeln auf den Lippen. Als er später vom Ruf eines Fischers geweckt wurde und die Hand nach ihr ausstreckte, griff er ins Leere. Halb angezogen, wobei er die restliche Kleidung mitzerrte, schaute er sich im Lichthof um, ohne sie jedoch
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