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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz
Autoren: Sheri S. Tepper
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Fünf-Klassen-Gesellschaft: das Management, die Professionellen, die Lohnempfänger und Asozialen. Und natürlich die Parias. Je niedriger die Kaste war, der jemand angehörte, desto mehr Selbstbewußtsein bezog er aus dem Umgang mit Waffen. In Anbetracht dieser Tatsache gab Zasper die Waffe vor der Rückkehr nicht ab.
    Unmittelbar nach seiner Ankunft ging er in die Altstadt, den Vergnügungsbezirk, wo er die Tyme Street von einem Ende zum andern abschritt, die Auslagen der Geschäfte betrachtete, die an den Cafes hängenden Speisekarten durchlas und den vertrauten Anblick und die Gerüche aufsog. Am Ende der Straße, die zum Fluß hin von einem rostigen Geländer begrenzt wurde, sah er über eine steile Treppenflucht auf den Swale. Immer wenn er seiner Jugend als einsames Waisenkind gedachte, erinnerte er sich daran: wie er die Tyme Street entlanggegangen war und den Schritt verlangsamt hatte, als die Straße sich über dem Fluß verengte, daß er fast stehengeblieben war, als er an dieser Ecke das Gluckern des Wassers hörte und sich jedesmal gefragt hatte, was wohl hinter der Biegung sei. Als er nun erneut an diese Stelle kam, wußte er, daß, was auch immer sich verändert haben mochte, der Swale derselbe geblieben war.
    Damals wie heute war es merkwürdig ruhig für so einen belebten Ort. Am einen Ufer wälzte der Fluß sich unter alten Piers und an den Rümpfen ankernder Schiffe vorbei. Das gegenüberliegende Ufer war von großen Holzhäusern gesäumt, zwischen denen Nischen klafften und die sich über enge Gassen hinweg einander zuneigten. In die Wände waren Türen eingelassen, massive, eisenbeschlagene Türen, die entweder fest geschlossen waren oder einen Spalt weit offenstanden. Es gab auch Gucklöcher und Fenster, hinter denen schwere Vorhänge flatterten, als ob sie ohne Unterlaß bewegt würden. Hinter den Türen waren enge Korridore zu erkennen, die ins trübe beleuchtete Innere führten und Wendeltreppen, die zu beengten, windschiefen Etagen hinaufführten, die eher für Spinnen zugeschnitten schienen als für Menschen. An den Wänden rann Kondenswasser herab, und es stank nach Moder. Der Swale war eine Chiffre für Halbwelt und Dekadenz, für Ausschweifungen und heimliche Laster. Die Laute im Swale glichen einem leisen Grollen, dem Summen eines Bienenschwarms in einem hohlen Baum; es ging zwar keine erkennbare Bedrohung von ihm aus, aber sie war dennoch existent.
    In unmittelbarer Nähe des Swale gab es eine Spielhölle, die von Zaspers bestem Freund, Ahl Dibai Bloom, betrieben wurde. Zasper war kaum durch die Tür gegangen, als er auch schon begrüßt wurde:
    »Bist du also heimgekehrt, Ertigon, was?«
    »Besser spät als nie, Bloom.«
    »Dachte schon, ich würde dich nie mehr sehen, dachte ich.« Bloom schlurfte durch den Raum, fuhr die Teleskopbeine aus und schaute auf Zasper herab. »Dachte schon, ich würde dich nie mehr sehen, Ertigon.«
    Das hatte Zasper auch einmal gedacht.
    Bloom führte ihn an einen Tisch, an dem es etwas ruhiger war.
    »Was führt dich also hierher, Alter Mann?«
    Weil Bloom klüger war als die meisten Leute, versuchte Zasper es ihm zu erklären.
    »Hattest du in letzter… in letzter Zeit den Eindruck, daß etwas nicht stimmt?«
    »Du meinst, außer den normalen, alltäglichen Dingen, die nicht stimmen? Wie die horrenden Steuern und die Babies, die auf der Straße totgeschlagen werden, und…«
    »Ich meine«, sagte Zasper würdevoll, »etwas anderes, Bloom. Ich habe seit einiger Zeit so ein Gefühl.«
    Nach Einzelheiten gefragt, hatte er nur vage Angaben zu machen. Er sagte, es sei nur so ein Gefühl, als ob irgendwo eine unsichtbare Gefahr lauerte. Gefahr war natürlich der ständige Begleiter eines Beauftragten, und Zasper sprach auch nicht von einer gewöhnlichen Gefahr. Er rechnete nicht damit, getötet zu werden, sondern mit etwas Schlimmerem, etwas viel Schlimmerem.
    Bloom hörte unbeeindruckt zu, doch es bedurfte schon viel, um Bloom zu beeindrucken. Immerhin war er ein Freund, und Zasper hatte nicht mehr viele Freunde. Ob Bloom es nun verstand oder nicht, Zasper fühlte sich in Blooms Etablissement und in der Nähe des Swale noch immer sehr wohl.
    Er kam abends oft hierher, wenn der Flußnebel aufwallte und die Lampen mit einer dunstigen Aureole umgab. Manchmal stand er für eine Stunde und länger an einer Ecke, ließ das Ambiente auf sich wirken und genoß die altbekannte Vorfreude, die unbestimmte Erwartung, als ob ein großes Ereignis bevorstünde, als ob ein
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