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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz
Autoren: Sheri S. Tepper
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phantasievolle Geschichten über ihn aus, wobei sie jedoch nie mit anderen Leuten über Schildkrötentaube sprachen, ganz zu schweigen über das, was sich zwischen ihnen beiden abspielte. Abgesehen von den Bedenken, die Maria dem Kinderarzt gegenüber geäußert hatte und der spöttischen Bemerkung, die der Kinderarzt gegenüber den Kollegen gemacht hatte, erwähnte niemand ihre intimen Aktivitäten, schon gar nicht gegenüber dem Vater der Zwillinge.
    Deshalb traf es Lek völlig unvorbereitet, als er eines Morgens, ohne anzuklopfen, das Zimmer der Zwillinge betrat und sie beim intimen Zusammensein überraschte. Er bewegte sich so leise, daß sie ihn überhaupt nicht hörten. Er war so schockiert, daß es ihm die Sprache verschlug. Mit starrem Gesichtsausdruck und leerem Blick verließ er das Zimmer so leise, wie er gekommen war, und ging zur Arbeit. Während der Kaffeepause machte ein neuer Kollege, der Leks Familie nicht kannte, dafür aber kürzlich eine Anekdote über ihn gehört hatte, spöttische Bemerkungen über einen Mann, der glaubte, in der Hochzeitsnacht viermal mit seiner Frau geschlafen zu haben, obwohl er die ganze Nacht durchgeschlafen hatte.
    Obwohl Lek es scheinbar überhörte, trafen die Worte ihn wie ein Keulenschlag. Ohne etwas zu sagen, setzte Leksy die Tasse ab, verließ die Fabrik und ging in eine Bar. Nach all den Jahren, in denen er (fast) keinen Sex gehabt hatte, war es nur die Erinnerung an diesen Morgen gewesen, die ihn halbwegs aufrechterhalten hatte. Es ging dabei nicht darum, was Maria gesagt hatte, die Vorstellung des Akts oder auch nur die Bestätigung seiner Männlichkeit, sondern um das Gefühl des Augenblicks. Die Aufwallung von Zufriedenheit, Glück und Erfüllung. Sein Körper und Geist schienen von innen heraus zu glühen wie ein Freudenfeuer. Es war für ihn der glücklichste Moment seines Lebens gewesen, der wie ein Stern leuchtete, und er hatte dieses Licht wie eine Monstranz vor sich hergetragen, wobei er in seiner Verzweiflung gehofft hatte, daß es eines Tages wieder so sein würde zwischen ihnen, und wenn nicht auf Erden, so im Himmel.
    Nun sah er diesen Stern erlöschen, zu Holzkohle erstarren, zu einem schwarzen, harten Nichts. Es war eine Lüge gewesen. Sein Glück war eine Lüge gewesen. Die Ehe war eine Lüge. Vaterschaft, Kinder, all das war eine Lüge. Er trank für eine Weile, ohne betrunken zu werden. Er schüttete den Alkohol in sich hinein, als ob er ein Faß ohne Boden wäre. Seine Gefühle, die Hoffnungslosigkeit, veränderten sich nicht. Schließlich stand er auf, fuhr zu einem Gebrauchtwagenhändler, verkaufte sein Auto und bestieg einen Bus. Gegen Abend war er über dreihundert Kilometer entfernt, unterwegs zur Atlantikküste. In seinem Kopf waren nur Leere und der Gedanke an Flucht. Nachdem er in New York angekommen war, rief er einen seiner Brüder an, einen Priester, und erzählte ihm, daß seine Ehe mit Maria eine Sünde und ein Irrtum seien, daß er irgendwohin gehen und nicht wiederkommen würde.
    Der Bruder rief Maria an. Sie schrie auf, brach in Tränen aus und machte sich dann Vorwürfe und drohte mit Selbstmord. Die Leute redeten ihr das aus. Ansonsten konnten sie nicht viel tun. Niemand wußte, wohin Leksy gegangen war. Zumal niemand genau wußte, weshalb er gegangen war, obwohl die Leute den Grund zumindest ahnten. Beide Zweige der Familie sprangen ein, versorgten Maria und die Kinder mit Nahrungsmitteln und Kleidung und bezahlten die Miete. Leksy besaß noch ein paar Ersparnisse, und die Firma hatte einen Versorgungsfonds. Nach ein paar Monaten nahm Maria die Arbeit im Holzhof wieder auf.
    Leksys Verwandte unternahmen einen halbherzigen Versuch, seinen Aufenthaltsort zu ermitteln, jedoch ohne Erfolg. Monate später erfuhr einer seiner Brüder vom klerikalen ›Nachrichtendienst‹, daß Lek sich einem kontemplativen Orden im Atlas, einem Gebirge in Nordafrika, angeschlossen habe. Es handelte sich um einen Einsiedlerorden, der hoch oben in einer Felsenstadt ansässig war, die nur über Seile zu erreichen und für weibliche Personen und Tiere aller Art tabu war.
    Maria hatte keine anderthalb Jahre mehr zu leben. Wenn die Kinder zu Bett gegangen waren, unternahm sie ausgedehnte, einsame Spaziergänge, damit sie so müde wurde, um einschlafen zu können. Sie durfte nicht wieder heiraten, weil Leksy noch am Leben war. Und die Gesellschaft von Männern hätte sie nur suchen dürfen, um wieder zu heiraten. Anders als Leksy konnte sie nicht einfach
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