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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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momentanen Stimmungsaufschwungs lachte er darüber, obwohl er den Inhalt eigentlich gar nicht so lustig fand.
    »Da will dich jemand heiraten«, sagte er mit einem schiefen Grinsen.
    »Ich weiß. Das ist schon der fünfzehnte Heiratsantrag, Berty. Ich habe mitgezählt.«
    »Mich will niemand heiraten.« Er machte ein langes Gesicht. »Ich bin nur eine Brautjungfer…«
    »Nun, was dich betrifft, haben sie sicher auch konkrete Vorstellungen.«
    Es stimmte, daß Bertran schon ein paar einschlägige Angebote bekommen hatte. »Nur weil du dabei bist«, sagte er. »Deine unvermeidliche Gegenwart macht die Sache besonders prickelnd.« Bertran verzog das Gesicht, als ob er ausspucken wollte. Er zeigte sich zwar desinteressiert an solchen Offerten, obwohl er Nelas Verehrer manchmal durchaus amüsant fand.
    Sie schüttelte schmollend den Kopf. »Ich glaube, diejenigen, die mich heiraten wollen, haben die gleichen Hintergedanken. Gehen wir bei dem hier darauf ein und warten wir ab, was passiert. Wie war noch sein Name? Ladislav Irgendwas?«
    »Armer Kerl. Wenn du ihm sagst, daß ich auf die Hochzeitsreise mitkomme, verliert er sicher die Fassung. Er wird glauben, daß er einem Schwindel aufsitzt.«
    Sie nickte zustimmend, und sie bogen nach rechts zu den Ställen ab. Sie gingen zwischen zwei Reihen von Pferden hindurch, die fraßen, mit den Hufen stampften und die Besucher mit glühenden dunklen Augen musterten. Die Zwillinge genossen diesen kurzen Abstecher nach den Vorstellungen, und sie blieben stehen, streichelten die schlanken Flanken und weichen Mäuler, was von Wiehern und Schnauben erwidert wurde.
    »Weshalb wollen diese Verrückten mich wohl heiraten, Berty?«
    »Weil du exotisch bist«, sagte er. »Schön, aber ausgesprochen fremdartig. Darüber hatten wir schon gesprochen. Manche Leute sehnen sich nach dem Fremdartigen, weil sie im Alltagsleben keinen Sinn erkennen. Sie wollen anders sein.«
    »Niemand von ihnen würde mit uns tauschen wollen. Wir sind anders.«
    »Nun, vielleicht geht es ihnen eher um Einzigartigkeit als um Andersartigkeit«, sagte er nachdenklich. »Sie haben den Eindruck, daß ihre Menschlichkeit nicht alles ist, nicht genügt. Sie sind sich innerlich selbst fremd und wollen das als Einzigartigkeit interpretieren, ohne sich als andersartig darzustellen. Sie wollen positiv beurteilt werden, nicht negativ.« Er schaute zu ihr hinab. »Oder vielleicht suchen sie auch nur den Reiz der Abwechslung und des Neuen. Wer weiß?«
    Je länger Bertran sich mit diesem Thema beschäftigte, desto in sich gekehrter wurde er. Von Zeit zu Zeit spürte er undefinierbare Sehnsüchte und eine nostalgische Melancholie, die sich deutlich von den depressiven Phasen unterschied; Zeiten, in denen er sich nach einem Ort sehnte, den er vergessen hatte oder an dem er noch nie gewesen war. Er nannte diese Befindlichkeit ubalgia, ›Fernweh‹. Doch sprach er nie davon und erwähnte es nicht einmal ihr gegenüber, seiner vielleicht liebsten und gewiß nächsten Angehörigen. Ab und zu träumte er, ein düsterer Nachhall von Träumen seiner Kindheit, nur daß diese Träume nun erotischer und gefährlicher waren. Auch das versuchte er zu verdrängen, wobei er intuitiv erkannte, daß er in dieser Hinsicht vielleicht nicht der einzige war.
    Es war noch gar nicht so lange her, daß Nela nachts im Flüsterton gesagt hatte, als ob sie ein Selbstgespräch führen würde:
    »Ich will schlafen. Doch dann träume ich von Schildkrötentaube. Zumindest am Anfang ist er Schildkrötentaube, doch dann verwandelt er sich in die kleine, dicke Schildkröte, die den Vögeln nachspioniert hat. ›Graue Dornen, graues Laub, und der graue Wind weht.‹« Die Dunkelheit schien von ihrer Stimme beseelt gewesen zu sein. »Und dann hat er plötzlich Federn, und er ist wirklich Schildkrötentaube, mit Flügeln, und er ruft mich, Mama, Mama, und ich suche ihn…«
    Ihre Worte beschworen das Bild des den Nebel durchdringenden Mondes herauf, während Stimmen aus der Kindheit in der Dunkelheit ertönten: »Berty! Wo bist du, Berty?« Herbstnebel und eine bittersüße Nostalgie. Wo war es gewesen? Wer hatte ihn gerufen? Mutter war es jedenfalls nicht gewesen. Sie hatte immer beide Namen, ›Ne-lah… Ber-tie‹ gerufen. Wer war es, der ihn allein gerufen hatte, als ob er so antworten könne, wie die Schildkröte geantwortet hatte: »Hier bin ich!« Das hatte die kleine Schildkröte gerufen, als sie den Ruf ihrer Freunde vernommen hatte, ihrer plumpen kleinen

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