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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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sich die Kehle mit Schlucken aus einer massiv goldenen Porzellantasse. Mitglieder des Aufsichtsrats haben unlängst (zum x-ten Mal und unter einem anderen Namen) sowohl den Fünf-Uhr-Tee und das Barock neu erfunden.
    »Mußten wir das unbedingt publik machen?« fragt sie mit hoher, affektierter Stimme, der Stimme eines kleinen Mädchens, die durch den alterslosen Zynismus in den Augen Lügen gestraft wird.
    Boarmus grunzt ungeduldig; die Frau geht ihm auf die Nerven. Sie ist eine Bohnenstange: dünn bis zur Grenze der Magersucht, eine schön frisierte, geschwätzige, mit Schmuck behängte Bohnenstange. Sie und andere ihrer Sorte langweilen ihn. Er ist auch seiner selbst überdrüssig, der Position, die er bekleidet, des Orts, an dem er sich befindet. Er ist ein stark beanspruchter Mann. Er hatte eigentlich nie Kommandeur werden wollen, so erinnert er sich nun, wobei er jedoch geflissentlich die Winkelzüge vergißt, derer er sich bedienen mußte, um diesen Posten zu erlangen. Zumal das schon lang her ist; damals war er jung und unerfahren – und unwissend!
    Er spricht: »Die Regel ist, daß die Schuld in der Rotunde laut verkündet werden muß, damit viele Leute die Anklage vernehmen und sie nicht unter den Teppich gekehrt werden kann. Danivon Luze lernte, was wir alle lernten, daß schlimme Taten vergeben werden können, nicht aber ihre Vertuschung. Wir alle haben das als Kinder gelernt, im Himmel.« Kurz sehnt er sich zu dieser Insel der Angehörigen des Aufsichtsrats zurück, diesem meerumspülten Paradies mit tropischen Pflanzen, mit von der Brise gekühlten Tagen und samtschwarzen, sternendurchglühten Nächten. Eine karge Bezahlung, Himmel, für das, was sie auf sich nehmen!
    »Natürlich«, fährt Boarmus in ironischem Ton fort, »verlernen wir vom Aufsichtsrat das auf unserem ersten Einsatz hier in Toleranz. Weil Danivon aber keiner von uns ist, hat er es auch nicht verlernt.«
    »Armer alter Paff.«
    Boarmus’ Glubschaugen verengen sich zu Schlitzen, und er fährt sich mit einer unförmigen Hand über den Glatzkopf mit der fliehenden Stirn. »Der arme alte Paff mißbraucht und ermordet Kinder, seit er in die Pubertät gekommen ist. Wir haben es bisher nur vorgezogen, das zu ignorieren, das ist alles.«
    »Aber er war einer von uns, Boarmus! Und sie waren nur gewöhnliche Kinder. Molock’sche und so.«
    »Ehrlich gesagt, glaube ich nicht…«
    »Nein. Das ist keine Entschuldigung. Natürlich nicht. Das Gesetz der Vielfalt gestattet keine Ausnahme. Er hatte kein Recht, die Kinder zu schänden, nicht einmal Molock’sche. Er hätte sie In Ruhe Lassen müssen. Ich weiß das, Boarmus. Er hat mir nur leid getan.«
    »Trotzdem sei seine Nase verdammt.«
    »Paffs Nase?«
    »Danivon Luzes Nase.«
    »Ich habe noch nichts von seiner Nase gehört. Aber ich weiß natürlich, wer er ist.«
    Boarmus widerspricht ihr. »Niemand weiß, wer er ist. Wir wissen nur, was aus ihm wurde, nachdem er hierher gekommen ist.«
    »Was ist denn mit seiner Nase?«
    Boarmus Lachen gleicht einer platzenden Schlammblase. »Er hat einen Riecher für alles. Gefahren. Schwierigkeiten. Was auch immer.«
    »Wie überaus merkwürdig.«
    »Merkwürdig vielleicht. Aber nützlich«, erwidert er mit gewichtigem Kopfnicken. »Ich halte Danivon für unersetzlich.«
    »Nur wegen seiner Schnüffelnase? Also wirklich…« Sie verstummt nachdenklich. Armer alter Paff. Ein Pädo-Nekrophiler, keine Frage, aber so ein stattlicher Mann. Immer so elegant gekleidet. Paff würde natürlich den Vorteil der Liquidierungszelle genießen – die einzig ehrenwerte Handlung. Wenn er sich dazu nicht überwand, würde ihm allerdings etwas zustoßen. Die Frick’schen würden das lautlos und effizient erledigen. So verfuhren sie in solchen Fällen immer.
    Sinnierend reibt Boarmus sich das vorspringende Kinn und bedauert, daß er Danivons Nutzwert erwähnt hat. Er hatte eigentlich gar nicht mit Syrilla über Danivon sprechen wollen, deren Diskretion er genauso traut wie einem Furz gegen den Wind. Danivon hat eine taktlose Handlung begangen. Man könnte es auch als Indiskretion bezeichnen. Außer Boarmus weiß bisher niemand Bescheid, und er hofft, die Sache zu bereinigen, bevor jemand anders es tut. Danivon Luze muß aus Toleranz verschwinden, bevor er die Gelegenheit hat, den Patzer zu wiederholen. Nicht daß Danivon vorsätzlich etwas falsch gemacht hätte. Boarmus hält ihm sozusagen einen Verbotsirrtum zugute – obwohl manche Leute ihm schlimmere Motive unterstellen

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