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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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Zimmer gewesen. Sie stand in der Tür, sah staubige Oberflächen, die dunklen Leuchtkörper, einen Haufen Andenken, die Heizmuffs, mit denen die alten Frauen ihre ständig kalten Extremitäten gewärmt hatten und die sogenannte Auto-Pflegekraft, die im Grunde nicht mehr darstellte als einen Monitor und einen Apparat, der in bestimmten Zeitabständen Medikamente ausspuckte. Im Raum roch es nach alten Frauen, Essig und vertrockneten Blumen. Alte Stimmen, alter Husten, Schniefen und Wimmern hallten nach.
    In dieser Nacht bezog Fringe das Zimmer. Sie hatte sich in eine Decke gewickelt, die sie aus dem Modul geholt hatte und die ihr als Kokon diente, eine zweite Haut, damit sie keinen Kontakt mit dem Raum bekam. Sie legte sich auf ihr altes Kinderbett, in dem Tantchen geschlafen hatte. Sie sagte sich, der Raum sei leer, doch sie spürte noch immer die Anwesenheit der früheren Bewohner. Wenn Nada und Tantchen auch gegangen waren, ihre Geister spukten nach wie vor im Raum herum. Und nicht nur ihre Geister, sondern auch Souiles Geist. Aus dem Schattenreich drang ihr Flüstern; sie unterhielten sich über sie, über Fringe und sagten die Dinge, die sie immer gesagt hatten. Sie hörte das Geflüster und reimte sich den Inhalt zusammen. Erst als es dämmerte, schlief sie ein.
    Tags darauf besuchte sie sie im Schweinestall. Sie saßen mit leerem Blick da; die Luft war gesättigt mit dem Zeug, das man versprüht hatte, um sie ruhigzustellen. Als Fringe mit ihnen sprach, nickten sie bedächtig. Sie hörten sie kaum.
    »Ist das Essen in Ordnung?« flüsterte sie. »Nada, ist das Essen in Ordnung? Bekommt ihr genug zu essen?«
    »Zu essen«, murmelte Nada. »Zu essen, Fringe-Mädchen.«
    »Wußtest du, daß Souile gestorben ist?« fragte Tantchen.
    In dieser Nacht harrte Fringe wieder im Zimmer aus, nur um ihre Blicke zu spüren, ihre Präsenz, das vorwurfsvolle Geflüster. Der Raum war von ihrer Aura durchdrungen. Ihre Geister waren hier, nicht im Schweinestall, in den man ihre Körper gesteckt hatte. Obwohl sie nicht imstande gewesen wäre, Souile zu retten oder Nadas und Tantchens Abschiebung in den Schweinestall zu verhindern, fühlte sie sich schuldig, weil sie es nicht wenigstens versucht hatte. Sie hätte Nadas zweite Tochter oder ihren Sohn suchen sollen. Weshalb hatte sie es nicht einmal versucht? War sie froh? Konnte sie überhaupt froh sein?
    Sie unternahm einen vergeblichen Versuch, mit ihrem Vater darüber zu reden. Sie hätte genauso gut gegen die Wand reden können. Wie immer ließ ihr Vater nicht mit sich reden. Er wurde nur wütend und sagte ihr, sie solle ihre Sachen aus dem Modul holen.
    »Ich habe es verkauft«, nuschelte er und vermied es, ihr in die Augen zu sehen. »Ich habe es verkauft. Heute kommt jemand vorbei, der es zerlegt und mitnimmt. Zumal du in deinem alten Zimmer besser aufgehoben bist. Sieh dich nur mal an, um Himmels willen.« Seine Stimme troff vor Verachtung. »Sieh dich nur mal an.« Er zeigte mit dem Finger auf sie, auf die abgekauten Fingernägel, das Haar mit dem Rattenschwanz, die fleckige Haut, das verweinte Gesicht. »Sieh dich an«, wiederholte er voller Abscheu.
    Sie öffnete den Mund, um es noch einmal zu versuchen und schloß ihn wieder. Es hatte keinen Sinn, ihm erklären zu wollen, wie sie sich fühlte. Zumal sie auch nicht wußte, wie sie sich fühlte; wenn sie überhaupt etwas wußte, dann das, daß sie nach dem Tod von Souile und dem Verschwinden der alten Leute auch nicht mehr in diesem Haus bleiben konnte. Ihr Vater hatte irgend etwas vor, hatte ihr irgendeine Rolle zugedacht, die sie spielen sollte, und sie wußte nicht, worum es sich dabei handelte. Was auch immer es war, sie war dazu nicht in der Lage. Diese Zeiten waren vorbei. Wenn es ihr schon nicht gelungen war, Souile eine Tochter zu sein, dann würde sie Chars Anforderungen an eine Tochter erst recht nicht genügen! Sie hatte ohnehin schon genug Probleme mit ihrer Identität. Da konnte sie nicht noch für ihren Vater in eine Rolle schlüpfen.
    Sie ging ins Modul zurück und suchte die Geldkarten zusammen, die sie im Waffengeschäft und bei Ahl Dibai Bloom verdient hatte. Das Guthaben war praktisch nicht angerührt; sie würde sich damit für eine Weile über Wasser halten, wenn sie ein billiges Zimmer in der Nähe der Schule und des Geschäfts fand. Andere Kinder von Lohnempfängern lebten schließlich auch unter solchen Bedingungen. Am Nachmittag ging sie auf Zimmersuche, wobei sie indes ein gewisses Niveau anpeilte:

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