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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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waren ihm ausgegangen, und er war nicht in der Lage, ihr ein anderes Angebot machen, genauso wenig wie er in der Lage gewesen war, Danivon Luze ein anderes Angebot zu machen. Zasper war schon seit Jahrzehnten ein Beauftragter. Er wußte, welchen Preis die Tätigkeit als Beauftragter gefordert hatte. Nach langjährigem Dienst nach Vorschrift fragte er sich, wer er eigentlich war, wer dieser Zasper Ertigon war? Ein Mann, der seine niederen Instinkte unterdrückt hatte, der nicht fähig war, Gefühle zu äußern und der sein Urteilsvermögen verloren hatte. Er war mit bestimmten Vorstellungen von Gut und Böse aufgewachsen, doch über die Jahre war ein gewisser moralischer Schwund eingetreten, die Unfähigkeit zu entscheiden, was richtig war. Nun lachte er darüber. In seiner Kindheit in Enarae hatte es durchaus richtige und falsche Dinge gegeben, doch weshalb sollte ein Beauftragter sich darüber den Kopf zerbrechen? Das war nicht der Auftrag eines Beauftragten! Sie hatten den Auftrag, den Willen des Rats durchzusetzen, was bedeutete, Richtiges und Falsches zu tun und noch andere verdammte Sachen. Sie hatten den Auftrag, die Vielfalt durch die Aufrechterhaltung des Status quo zu verteidigen. Fürs Denken wurden sie nicht bezahlt, und Gefühle konnten sie sich auch nicht leisten.
    Wenn man es aus der entgegengesetzten Perspektive betrachtete, mußte er jedoch zugeben, daß es auch Beauftragte gab, denen die Arbeit zu gefallen schien. Viele von ihnen genossen die Bezahlung und den Respekt; manche genossen die Macht.
    »Zasper«, flehte sie und weinte wie ein Schloßhund. »Bitte!«
    Die Zusage, ihr zu helfen, war schmerzlich für ihn. Die Absage wäre kaum schmerzlicher gewesen.
    Später erinnerte sie sich, daß sie Zasper eigentlich von ihrem neuen Namen erzählen wollte und es dann irgendwie vergessen hatte. Obwohl sie lange Zeit keine Gelegenheit hatte, ihm die Geschichte zu erzählen, vergaß sie den Namen nicht. Owldark. Das war ihr Name. Sie hielt ihn zwar geheim, aber es war ihr Name.
    Ein qualifizierter Sponsor genügte, um in die Akademie aufgenommen zu werden. Die Kandidaten leisteten keine Vorauszahlung für das Studium. Von graduierten Beauftragten wurde erwartet, daß sie die Ausbildung an der Akademie honorierten, indem sie hohe Gebühren an die Beauftragten- Posten entrichteten, nachdem sie sich etabliert hatten. Also ging sie, ohne jemandem etwas zu sagen, von der Lohnempfänger-Schule ab, zog aus dem schäbigen Zimmer aus und bezog ein ähnliches, wenn auch saubereres Zimmer an der Akademie von Enarae. Sie rangierte laut Zasper auf Platz Zwei der Beauftragten-Akademien auf Woanders, wobei nur noch die Akademie in Toleranz selbst einen besseren Ruf genoß.
    Jeden Tag trat sie noch vor dem Morgengrauen mit ihren Kameraden an, um sich die uralte Geschichte von den unbezwingbaren Menschen anzuhören, die sich nicht von den Göttern versklaven ließen; sie hörte vom ruhmreichen alten Phansure, vom Ersten Enarae und dem Exil-Enarae hier auf Woanders; sie spürte, wie das Blut durch die Trommelwirbel und die flatternden Banner in Wallung geriet. Sie rezitierte den Eid, wobei jedes Wort sich in ihr Herz brannte. Sie vernahm den Ruf der Meister: »Beauftragte! Eine Lage!«
    Sie rief mit hundert anderen: »Wir klären die Lage!«
    Sie ging völlig darin auf. Beauftragte wurden respektiert und waren respektabel. Die Geschichte durchströmte sie, wie Energie durch eine Glasfaser floß und alles erwärmte, was mit ihr in Kontakt kam. Ohne die Beauftragten gäbe es keine Vielfalt und folglich auch keine Menschheit. Sie und ihre Kameraden waren die tapfere Truppe, welche die Sicherheit der ignoranten Masse gewährleistete. Wurde sie dennoch von Zweifeln geplagt, so verdrängte sie diese. Genauso wie jedes Aufflackern ihrer alten Aufmüpfigkeit. Sie hatte sich entschieden! Sie würde zu ihrer Entscheidung stehen.
    Sie wurde an Waffen ausgebildet, von deren Existenz sie bisher nichts gewußt hatte. Sie lernte exerzieren und die offenen und verschlüsselten Signale, mit denen die Beauftragten sich verständigten. Sie lernte zu kommandieren, wie sie die Leute dazu bewog, Befehle auch gegen ihren Willen zu befolgen. Sie nahm an Fallstudien von Provinzen teil, die in der Vergangenheit vom Status quo abgewichen waren und erfuhr, wie die Beauftragten sie wieder zur Räson gebracht hatten.
    Sie entwickelte Selbstbewußtsein. Das Haar bekam Glanz. Die abgekauten Fingernägel wuchsen nach. Die Haut wurde rein. Die Haltung

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