Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
anrufe, sagst du, dass du in Eile bist, dass du keine Zeit hast, und das tut mir weh …«
»Ach, Maman, jetzt werd nicht sentimental … dann reg ich mich nur auf, wimmle dich ab, und du bist erst recht traurig! Aber ich bin verdammt froh, mit dir zu reden … Wie geht es mit deinem Buch voran? Hast du schon angefangen zu schreiben?«
Joséphine erzählte ihr die Geschichte vom Kleinen Mann und Cary Grant. Hortense entgegnete, das sei ja eine perfekte Geschichte für sie, da spritzen die Gefühle wie Blut durch die Gegend … Sie sagte es ohne jede Gehässigkeit, lediglich im beiläufigen Ton einer Frau, die alle Gefühle auf Abstand hält, aus Angst von ihnen getroffen und versenkt zu werden.
Denise Trompet tanzte vor Freude durch ihr kleines Zimmer in der Rue de Pali-Kao. Sie betrachtete sich in dem mit weißen Muscheln verzierten Spiegel, den sie von einer Reise mit ihren Eltern nach Port-Navalo mitgebracht hatte. Ihr einziger Urlaub in fast dreißig Jahren. Sie machten den Laden nie zu, das hätte entgangenen Gewinn bedeutet. Aber in einem Sommer hatten sie es gewagt. Sie waren alle drei zusammen mit dem Bus nach Port-Navalo gefahren, einem ehemaligen Fischerhafen und Piratennest im Golf von Morbihan.
Sie hatten ihr diesen Spiegel geschenkt, Verheißung von Schönheit und Glück. Und ein kleines Schminktäschchen … Du musst dich ein bisschen herausputzen, hatte ihre Mutter, betrübt darüber, ihre Tochter so reizlos zu sehen, gesagt.
Heute Abend würde sie sich herausputzen.
Heute Abend würde sie mit Bruno Chaval ausgehen.
Heute Abend würde er mit ihr nach Montmartre hinauffahren, um den Sonnenuntergang zu beobachten.
Heute Abend würde er sie in den Armen halten, und eng umschlungen würden sie zusehen, wie der strahlende Himmelsstern als flammende orange-rosa Scheibe hinter dem Horizont versank.
Sie wählte ein orange-rosa Kleid. Goldene Pumps. Eine goldene Handtasche. Schminkte sich in den warmen Farben der untergehenden Sonne. Toupierte erbittert ihr dünnes Haar, besprühte es mit Lack, warf den Kopf vornüber, um ihm mehr Volumen zu verleihen, und tanzte erneut durch ihr kleines Zimmer.
Sie hatten sich auf der Place du Tertre verabredet. Sie würden sich zwischen den Staffeleien der Maler und den bunten Cafémarkisen treffen. Er würde ihre Hand nehmen, den Arm um sie legen …
Heute Abend würden sich ihre Lippen berühren …
Am Abend zuvor hatte sie im Bett wieder einmal ihr Lieblingsbuch gelesen: Eine fast perfekte Ehe . Sie kannte lange Passagen davon auswendig. Mit geschlossenen Augen rief sie sich die Worte in Erinnerung, und eine sanfte Wärme erfasste ihren Körper:
»Aber kaum berührten seine Lippen die ihren, vergaß sie alles. Sie fühlte sich wie ein Kind, das zum ersten Mal ein Stück Zucker probiert und von der Süße ganz überwältigt ist. Sein Kuss war zart wie Baiser, sanft wie die ersten Takte der Mondscheinsonate und so lang ersehnt wie der erste Frühlingsregen nach einem trockenen Winter.
Fast schwindelig gab sie sich ganz hin. Bis es nicht mehr reichte, dass er sie nur küsste. Sie umfasste sein Gesicht und erwiderte den Kuss – nicht einfach leidenschaftlich, sondern fast verzweifelt, zitternd und wild.«
Heute Abend, heute Abend …
Sie rannte die Treppe hinunter und grüßte den arabischen Lebensmittelhändler, der den Laden ihrer Eltern übernommen hatte. Normalerweise würdigte sie ihn keines Blickes.
»Alles in Ordnung, Mademoiselle Trompet?«, rief er erstaunt.
»Alles bestens …«, antwortete sie und hüpfte wie eine Gazelle zum Eingang der Métro-Station.
Sie würde an der Station Anvers aussteigen und langsam die Stufen zur Basilika hinaufsteigen. Sie würde nicht die Seilbahn nehmen, um nicht den Geruch der in der kleinen Kabine zusammengepferchten Körper anzunehmen, sondern frisch, rosig und munter bei ihrem Liebsten anzukommen. Es würde ihr vorkommen wie eine langsame Prozession ins Glück. Sprosse um Sprosse würde sie die Leiter der Seligkeit erklimmen. Endlich, endlich! Heute Abend würde er sie küssen …
Sie bemerkte ihr Spiegelbild in einem Schaufenster und fand sich beinahe hübsch. Die Liebe, die Liebe, sang sie vor sich hin, das ist die beste Schönheitscreme … Der geheime Talisman, der den Mann dazu bringt, sich einem zuzuneigen, damit er Sie mit seinen Küssen berauscht und vor Ihnen auf die Knie sinkt. Ob er zu mir in die Rue de Pali-Kao ziehen will, oder müssen wir uns anderswo eine gemeinsame Wohnung suchen? Anderswo wäre
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