Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
gastrointestinalen Bereich. Marie tippte die Namen der Kinder in die Suchmaske ein: Die Tochter war einmal mit einem gebrochenen Schlüsselbein in der Notaufnahme gelandet, sie war aus dem Bett gefallen. Der Sohn war seit seiner Geburt nicht mehr im Krankenhaus gewesen. Marie schüttelte den Kopf. Irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendetwas hatte sie übersehen. Erst als sie Miras Mädchennamen eingab, fand sie ältere Akten. Gebrochenes Handgelenk. Nasenbein. Oberkiefer. Schädelbruch. Noch einmal das Handgelenk. Klassische Prügelverletzungen.
Marie druckte alle Einträge aus und legte sie in eine Mappe. Sie steckte die Mappe in ihre Tasche. Sie würde die Akten zu Hause in Ruhe studieren. Sie wusste nicht, was sie mit diesen Informationen anfangen konnte. Oder sollte. Doch zumindest wollte sie vorbereitet sein, wenn Mira das nächste Mal in die Notaufnahme kam.
Marie sah auf die Uhr. Es war kurz vor eins. Schnell diktierte sie die restlichen Berichte. Dann packte sie ihre Sachen zusammen. Um nicht noch einmal an Frau Hablützels offener Tür vorbeigehen zu müssen, machte sie einen Umweg. Sie nahm den Lift ganz am Ende des Flurs, der sie weit von ihrem Auto in der Tiefgarage entlassen würde. Aber als sie im Lift stand, sah sie, dass er auch die Geburtenabteilung im Westflügel bediente. Sie drückte auf den entsprechenden Knopf. Vielleicht erinnerte sich ja jemand an Miras Geburten.
Als sie nach Hause kam, wartete Gion schon auf sie. Er saß auf dem Sofa, das schon ausgezogen war, die Füße in Straßenschuhen auf der Decke, unter der seine Tochter jeweils schlief.
«Bist du nicht im Yoga?», fragte Marie. Als ob sie das nicht sehen könnte.
Gion ging nicht darauf ein. «Wir müssen reden, Marie», sagte er.
Sie nickte und setzte sich zu ihm. Sie wusste, was jetzt kam. Ihre Augen begannen zu brennen. Sie senkte den Kopf. Jetzt kam die Strafe für all ihre hässlichen Gedanken. Gion würde sie verlassen, so wie es alle von Anfang an vorausgesehen hatten. Und sie war daran schuld, weil sie es heimlich gehofft hatte. Wie war dieses heillose Durcheinander entstanden? Wie hatte sie zulassen können, dass alles so verkehrt herausgekommen war?
«Du hast hoffentlich nicht vergessen, dass Stefanie heute kommt?»
Marie schüttelte den Kopf. Natürlich hatte sie es vergessen.
«Sie macht eine schwierige Phase durch», fuhr Gion fort. «Sie kommt mit ihrer Mutter nicht klar. Und dass ich wieder dauernd in den Medien präsent bin, macht es auch nicht einfacher. Aber was kann ich tun? Ich hab ihr also gesagt, sie könne bei uns wohnen.»
«Bei uns? Wann hast du das entschieden? Warum hast du mich nicht gefragt?»
Gion seufzte. «Ich wusste schon, dass du so reagieren wirst. Darum hab ich dich gar nicht erst gefragt. Was soll ich denn sagen, Marie? Stefanie ist meine Tochter – du kannst dich doch nicht im Ernst zwischen uns stellen!»
«Das tu ich doch gar nicht, ich …» Er verlässt mich nicht, dachte Marie. Sie war erleichtert und enttäuscht zugleich. Sie wünschte, sie wüsste, was sie fühlte.
«Da ist ein Typ im Yoga, weiß nicht, ob du dich erinnerst, so viele Männer gehen da ja nicht hin. Ted, Fred, irgend so was.»
Marie nickte. Der mit dem Blick.
«Ein Anfänger, unglaublich ungelenkig, aber egal, der hat heute beim Tee erzählt, dass seine Tochter jetzt bei ihm wohnt. Die Mutter hat einen Job in Los Angeles angenommen, kannst du dir das vorstellen? Zack!, von einem Tag auf den anderen lebt die Kleine bei ihm. Seine Freundin kann damit nicht umgehen. Ich kenn sie von der Level-drei-Stunde. Ganz schwierige Frau. Die betrachtet das Kind als Konkurrenz.»
«Das tu ich doch nicht», unterbrach Marie. «Denkst du im Ernst, das tue ich?» Was für eine Freundin, dachte sie gleichzeitig, hat er eine Freundin? Warum schaut er dann auf meinen Arsch? Ach, mach dir nichts vor. Er ist halt nicht zu übersehen.
«Marie, es geht hier ausnahmsweise mal nicht um dich! Ich sage nur: Der Typ war nie glücklicher. Und als ich ihm so zuhörte, dachte ich: Das ist es, was ich will. Ich will, dass Stefanie bei mir lebt.»
«Bei uns», unterbrach Marie. «Wir sind verheiratet. Wir leben zusammen. Eigentlich ist das sogar meine Wohnung. Der Mietvertrag läuft auf meinen Namen. Und jetzt hab ich nicht mal mehr Platz darin. Nicht mal im Bett.»
Sie stand auf. Gion streckte eine Hand nach ihr aus. «Baby, was willst du damit sagen? Das klingt jetzt total irrational, das weißt du hoffentlich!»
«Was ich damit sagen
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