Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
Gefühl gab, eine Rabenmutter zu sein.»
«Eine Frau bleibt eine Frau, auch wenn sie ein Kind geboren hat», sagte Ingrid. «Sie hat ihre Bedürfnisse. Eine Mutter ist kein geschlechtsloses Wesen, auch wenn das alle gerne glauben würden. Wer wüsste das besser als ich? Wenn ich denke, wie ich damals unter Vorurteilen gelitten habe – und das waren die achtziger Jahre! Damals schienen die gesellschaftlichen Strukturen aufzubrechen. Ha! Schöne Illusion! Unterdessen ist alles nur noch schlimmer geworden. Unsere Gesellschaft ist klammheimlich in die fünfziger Jahre zurückgeschlittert. Junge Frauen geben als Berufswunsch Hausfrau an, Mädchen träumen von Hochzeitskleidern und reichen Männern, die ihnen ein schönes Leben ermöglichen. Aber du nicht, mein Schatz, gell?» Sie fuhr Emma durchs Haar, die ernst aufschaute.
«Ich will nie Kinder haben», sagte Emma. «Kinder machen zu viel Stress.»
«Du wirst dich selbst verwirklichen», sagte Ingrid, und Tina lächelte. Sie lächelte selten. Es stand ihr gut, dachte Ted.
«Ingrid ist die Einzige, die mich versteht», sagte Tina. Ted erinnerte sich, dass Tina keine Freundinnen hatte. Andere Frauen mochten sie nicht. Sie seien eifersüchtig, hatte sie immer gesagt. Ted hatte das gefallen. Der undurchdringliche Pulk, den Frauenfreundschaften bildeten, hatte ihn immer eingeschüchtert. Nun hatten sich die beiden Frauen zusammengeschlossen, die er am meisten fürchtete. Emmas Mutter und seine.
Ingrid, so stellte sich heraus, hatte Emma all die Jahre mindestens einmal in der Woche gehütet. Sie hatte sie von der Schule abgeholt, sie kannte ihre Lehrerin, ihre Klassenkameradinnen und deren Mütter. Emma hatte regelmäßig bei ihr übernachtet, sie waren sogar zusammen in die Ferien gefahren.
«In die Ferien?», fragte Ted. «Warum zum Teufel hast du denn nicht mich gefragt? Du weißt doch, dass ich Emma gern öfter bei mir gehabt hätte!»
«Vielen Dank, damit du sie noch mehr gegen mich aufhetzen kannst? Sie ist deinem Einfluss schon viel zu stark ausgesetzt, wenn du mich fragst!»
«Ich habe nie etwas Schlechtes über dich gesagt», verteidigte er sich. «Emma, das kannst du bestätigen, hast du mich je ein böses Wort über Mama sagen hören?»
Noch bevor er den Satz ausgesprochen hatte, wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Emma saß starr vor ihrem Teller, auf dem das zerlaufene Eigelb langsam fest wurde.
«Na, bravo», sagte Ingrid. «Das hast du wieder toll hingekriegt. Komm, Kleine, wir gehen uns verkleiden!» Sie nahm Emma bei der Hand und verließ die Küche.
Ted biss von seinem trockenen Toast ab. Er hatte gestern viel getrunken und wenig gegessen. Der Tisch war rund. In seiner Mitte verlief ein Spalt, wo man ihn auseinanderziehen und vergrößern konnte. Ted hatte seiner Mutter oft geholfen, die schweren zusätzlichen Platten einzulegen.
«Ich weiß, es kommt alles etwas plötzlich», sagte Tina. «Aber in Los Angeles haben sie mir eine feste Stelle angeboten. Und ich habe zugesagt. Ich habe einen tollen kleinen Bungalow gemietet, mit Swimmingpool, Emma kann eine private Montessorischule besuchen, da wird sie ganz anders gefördert als hier, es wird ihr guttun. Zweimal im Jahr kommen wir in die Schweiz, und dann kannst du sie ganz für dich haben.»
«Du hast dir ja alles schon genau überlegt!»
Der Spalt verlief genau in der Mitte zwischen Tina und ihm. Während sie redeten, wurde er größer und größer, er tat sich auf wie ein Schlund, die halbleeren Teller rutschten in die Tischmitte und fielen in den bodenlosen Abgrund. Ted kippte auf seinem Stuhl nach hinten. Er hielt sich an der Tischkante fest, um zu verhindern, dass er in die Leere zwischen ihnen fiel und in ihr ertrank.
«Gib’s doch zu, das Leben als Vollzeitvater ist auch nicht das, was du dir vorgestellt hast! Ich weiß, dass deine neueste Flamme nicht sehr begeistert ist von Emmas ständiger Anwesenheit. Und umgekehrt!»
«Woher willst du das wissen?»
«Hast du wirklich gedacht, Emma und ich hätten keinen Kontakt? Wir skypen jeden Tag! Und auch mit Sandra tausche ich mich regelmäßig aus. Sie hat mir erzählt, wie oft sie einspringen musste, wenn du überfordert warst!»
«Ich bin nicht überfordert, nicht mehr als du …»
«Wag es nicht, dich mit mir zu vergleichen! Ich bin Emmas Mutter!»
Da war es wieder. Ted stützte sich auf die Tischplatte und stand auf. Er war müde. Er fühlte sich alt. «Emma muss zur Schule», sagte er.
«Wir nehmen den Joker. Es sind
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