Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
Straße in Berührung kämen. Sie stellte sich auf das weiche Leder seiner Lieblingsjacke und schaute zu ihm hoch.
«Und jetzt?»
«Wie, und jetzt?» Er versuchte sie zu küssen, sie wandte sich ab.
«Jetzt stehe ich wieder auf der Straße!» Sie stand mit einem Fuß noch auf der Jacke, hob den anderen und sah Ted bedeutungsvoll an. Sie wartete. Ted verstand, er zog die Jacke unter ihrem Fuß hervor und legte sie blitzschnell wieder vor sie, bevor sie den nächsten Schritt machte. Nachdem sie das dreimal wiederholt hatten, tat ihm der Rücken weh, er fror, er kam sich lächerlich vor. Und plötzlich fiel ihm ein, dass sein Handy noch in der Jackentasche steckte. Im selben Moment trat Lilly darauf. Er hörte es knirschen.
«Scheiße!», entfuhr es ihm. Lilly machte einen Schritt auf die Straße und verschränkte die Arme.
«Siehst du, das meine ich: Große Gesten, aber nichts dahinter.»
«Aber Lilly …» Ungeschickt zog er die Jacke wieder an. Er nahm das Handy aus der Tasche. Das Display hatte einen Sprung. Er tippte die zuletzt gewählte Nummer an, es klingelte in Lillys Beutel. «Siehst du?»
«Und das soll mich jetzt beeindrucken?» Lilly zog mit beiden Händen den Ausschnitt ihres Yogatops hinunter und zeigte ihm auf offener Straße ihre perfekten, kleinen, weißen Brüste. Irgendwo hörte Ted jemanden lachen. Er hörte Schritte. Sie waren nicht allein.
«Lilly …» Er hatte vergessen, was er sagen wollte. Was er eben noch gedacht hatte. Es gab nur noch diese Brüste, diese Frau. Nur ein Schritt trennte ihn von ihr, und alles lag in diesem einen Schritt.
Hätte er ihn nur nicht getan. Wäre er doch nach Hause gegangen mit seinem Handy, hätte er seine Mutter angerufen, es musste kurz nach halb elf gewesen sein, hätte er das Schlimmste abwenden können. Stattdessen folgte er den Brüsten wie zwei Scheinwerfern durch die Nacht in ein kühles Prinzessinnenbett.
Dort lag er lange auf dem Rücken, schaute an die Decke, wartete auf Lilly, die sich im Bad bereitmachte. Er hörte Wasser rauschen. Er hielt sich eine Hand vor den Mund und hauchte in die gewölbte Handfläche. Hätte er noch die Zähne putzen sollen? An der Decke klebten Sinnsprüche und Aufforderungen, aus Zeitschriften ausgeschnitten: Lebe dein bestes Leben! Zum Erfolg gibt es keinen Fahrstuhl, da musst du schon die Treppe nehmen! Schön ist, wer sich schön fühlt! Sei lieb zu dir, sonst ist es ja keiner!
Lilly kam aus dem Bad. Bevor sie sich zu ihm legte, löschte sie das Licht. Dann drapierte sie ein seidenes Tuch über ihre Mitte, das sie jedes Mal, wenn es verrutschte, wieder zurechtrückte. Dreimal fragte sie ihn, ob er nicht auch fände, dass sie zugenommen habe. Und schließlich, den Blick an die Decke gerichtet, sagte sie verträumt: «Morgen fang ich ein Reinigungsritual an, ein richtiges Panchakarma . Darmspülungen, Säfte …»
Ted gab auf. Erschöpft rollte er von ihr herunter und ließ sich auf die harten Kissen zurückfallen. Einmal mehr war er gescheitert. Prinzessinnen konnte man nicht glücklich machen. Warum versuchte er es immer wieder? Er lag lange wach. Vor dem Fenster verging die Nacht, und plötzlich erschien vor seinen müden Augen, wie ein blasser Mond, Maries Hintern.
Trotzdem wagte er nicht, aufzustehen und zu gehen. Er wartete, bis Lilly aufwachte und ihn wegschickte: «Ich habe noch so viel zu tun, bevor die Aufnahmen beginnen, ich bin so aus der Form, es ist eine einzige Katastrophe!»
Ted hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Er war müde. Es war kurz nach halb sieben, er würde zu seiner Mutter fahren und Emma abholen und sie dann selber zur Schule bringen.
Ingrid hatte ein englisches Frühstück gekocht, mit Eiern und Würstchen, Tomaten, Pilzen und Speck. Er konnte es schon im Treppenhaus riechen. Das hatte sie immer sonntags zubereitet, auch gegen den Protest der mehrheitlich vegetarisch lebenden WG-Bewohner. Es erinnerte sie an ihre Jugend in einem besetzten flat in Nordlondon.
«Du kommst gerade richtig», sagte Ingrid.
«Papa!», schrie Emma. «Schau, wer da ist!»
Und er hatte immer noch keine Ahnung. Er folgte Ingrid in die Küche, und da saß Tina vor einem Teller fry-up. Als gehöre sie da hin. An diesen Tisch.
«Oma hat Würstchen gebraten!», rief Emma. «Und Mama ist hier! Und ich fliege nach Amerika!»
«Toast?», fragte Ingrid.
Es stellte sich heraus, dass Tina nach der Trennung von Ted den Kontakt zu seiner Mutter gesucht hatte. «Sie war damals die Einzige, die mir nicht das
Weitere Kostenlose Bücher