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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Männer, die sich aneinander messen und im anderen eigentlich den Vater bekämpfen, gegen den anzutreten sie sich nicht trauen …
    «Ich habe Psychologie studiert», sagte Maurer, als entschuldige er sich. «Aber es hat mir nicht gereicht.»
    Das erklärte, warum er älter aussah als die anderen Assistenzärzte. Er war älter. Umso besser. «Das trifft sich ja sehr gut. Maurer, Sie sind dabei!»
    «Gerne, was brauchen Sie?» Sein bleiches Gesicht hatte sich etwas gerötet, die müden Augen blickten interessiert.
    «Sie kommen mit. Wir machen einen Hausbesuch.»
    «Einen Hausbesuch? Aber …»
    «Ich weiß, ich weiß! Eine Behandlungsmethode, die nicht mehr praktiziert wird, aber manchmal die einzige, die zum Ziel führt.»
    «Ich hätte noch bis zwölf Uhr Dienst!»
    «Ich übernehme die Verantwortung. Sehen Sie es so, Maurer: Wann waren Sie zuletzt an der frischen Luft? Dem Tageslicht ausgesetzt?»
    «Ich hole meinen Mantel!»
    Das Haus, in dem Familie Bolliger wohnte, lag am Stadtrand. Es war eins in einer Zeile von Häusern, die alle gleich aussahen. Nur die Fensterläden und Türen waren in unterschiedlichen Farben gestrichen. Grün oder rot oder blau. Eine Reihe blasser Gesichter mit verschiedenfarbigen Augen.
    «Fliederweg zwölf b», sagte Maurer. «Klingt ja ziemlich pompös!» Er sagte es spöttisch. Die Häuser hatten kleine Gärten, in denen wacklige Klettergerüste standen oder grüngestrichene Bänke. Sie hatten alle denselben Erker im Erdgeschoss und darüber einen kleinen dreieckigen Balkon. Sie sahen aus wie Miniaturvillen, wie Spielzeughäuser.
    «Maurer», sagte Marie. «In diesen Häusern wohnen Menschen. Machen Sie sich mal nicht lustig!»
    «Ich bin in so einem Haus aufgewachsen. Adresse: Zedernstraße vierzehn.» Maurer gefiel ihr immer besser. Marie stellte ihr Auto direkt vor die Nummer zwölf b und stieg aus. Sie legte die laminierte Karte mit dem Kreuz auf das Armaturenbrett. Arzt im Dienst. Als Hausärztin würde sie einen Kleber an der Scheibe haben.
    Marie klingelte. Hinter der rotgestrichenen Tür war es still. Marie klingelte nochmals. Der Spion verdunkelte sich. Dann wurde die Tür einen Spalt weit geöffnet.
    «Frau Bolliger? Mira?»
    Die Kette wurde gelöst und die Tür ein bisschen weiter geöffnet. Marie linste hinein. Es war dunkel. Sie erkannte Miras streng zurückgekämmtes Haar, ihr schmales Gesicht.
    «Erinnern Sie sich an mich? Ich bin Doktor Leibundgut vom Kantonsspital. Ich habe Sie neulich in der Notaufnahme betreut.»
    In den toten Augen flackerte etwas auf.
    «Dürfen wir hereinkommen?»
    Die Augen erloschen wieder. So schnell, dass Marie dachte, sie habe sich das Flackern eingebildet. «Mein Mann schläft», sagte Mira. «Er arbeitet Schicht.»
    «Kenn ich», sagte Maurer. «Brutal!»
    «Wir dürfen nicht laut sein», flüsterte es von Miras Knien herauf. Ein kleines Mädchen mit toten Augen. Marie bückte sich. Sie konnte Maurers Unruhe fühlen, wie er von einem Fuß auf den anderen trat, sie blickte warnend zu ihm auf, bevor sie sich dem Mädchen zuwandte. «Hallo. Du bist sicher Serena. Ich bin Marie.»
    Das Mädchen nickte ernst.
    «Woher wissen Sie, wie meine Tochter heißt?»
    «Frau Bolliger, ich habe Ihre Unterlagen durchgesehen.»
    «Ach, haben Sie?»
    Marie nickte. Wurde auch langsam Zeit, schienen Miras Augen zu sagen, doch dann schauten sie über Maries Schulter hinweg auf die Straße. Marie drehte sich um und sah eine ältere Frau sehr langsam einen leeren Einkaufswagen die Straße hinaufziehen und dabei neugierig zu ihnen herüberstarren. Sie wird sich noch den Hals verrenken, dachte Marie, oder vom Trottoir stolpern.
    «Frau Zenthäuser», sagte Mira und hob die Hand zum Gruß. Die alte Frau nickte nur und ging dann langsam weiter. Sie ließ sie nicht aus den Augen, bis das fremde Auto mit der Arztplakette in der Windschutzscheibe sie ablenkte.
    «Dann kommen Sie halt herein», sagte Mira. «Aber Sie müssen leise sein. Und ziehen Sie die Schuhe aus, ich habe gerade geputzt.»
    Maurer blickte zu Marie, als hole er ihre Erlaubnis ein.
    «Danke», sagte Marie.
    Sie streiften die Schuhe ab und betraten einen dunklen Flur. Eine Treppe führte in den oberen Stock, zu den Schlafzimmern, vermutete Marie. Der Flur endete in einem kleinen Wohn-Esszimmer. Auch dort war es dunkel, die Fensterläden geschlossen, als ob die Sonne sich von hier aus einen Weg ins Schlafzimmer bahnen und Herrn Bolliger aufwecken konnte. Marie sah im Vorbeigehen, dass das Zimmer neu

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