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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Hunger?»
    Poppy fuhr mit beiden Händen über seine Schultern, über seinen Rücken, er hatte zugenommen, sie fühlte die Muskeln seiner Oberarme durch die weite Kapuzenjacke hindurch. «Treibst du etwa Sport?»
    Er trat einen Schritt zurück, verlegen. «Ich bin doch im Ruderclub, Mama», sagte er in einem Ton, als müsste sie das wissen. Hatte er ihr das schon erzählt?
    «Natürlich», sagte Poppy. «Der Ruderclub.» Wo konnte man in seiner Umgebung rudern?
    Auch Lukas stieg endlich aus. Er trug dieselbe Art von Kleidung wie sein Bruder, steife dunkelblaue Jeans, die tief auf den Hüftknochen saßen und den Bund seiner Boxershorts sehen ließen. Turnschuhe, T-Shirt, Kapuzenjacke. Doch bei ihm sah es aus, als hätte er die Kleider aus einer Sammeltüte oder aus der Wäschetonne gefischt, als hätte er in ihnen geschlafen. Dabei war Poppy sicher, dass Julia seine Kleider genau wie die seines Bruders wusch und bügelte und zusammenfaltete und in seinen Schrank räumte. Poppy dachte an eine Frau, die sie an einer Party kennengelernt hatte, damals, als sie mit Peter solche Anlässe besuchte. Sie hatte gefragt, von wem das Kleid sei, das Poppy trug. Stolz hatte sie den Kragen nach außen gedreht, so dass die Frau das Label sehen konnte. Peter hatte ihr das Kleid geschenkt. Es war ein Entwurf eines jungen Schweizer Designers.
    «Ach, wie interessant», sagte die Frau. «An manchen Leuten sieht auch Massenware aus wie Couture, und bei anderen ist es genau umgekehrt, die können tragen, was sie wollen, es wirkt einfach billig!» Poppy merkte nicht sofort, dass die Frau sie beleidigt hatte, sie nickte eifrig zustimmend, denn sie hatte genau dasselbe gedacht, als sie vor dem Spiegel stand: Was ist der Unterschied?
    Lukas warf sich mit einer Unbekümmertheit in ihre Arme, als hätte er vergessen, wo sie waren und warum sie Poppy hier trafen. Lukas roch noch wie ein Kind. Poppy steckte ihre Nase in seine Haare, die halblang in seinen Nacken fielen.
    «So, und jetzt fahren wir los», sagte Julia. «Nichts wie weg hier, was meinst du, Poppy?»
    Poppy zögerte. Julia musste ihr sagen, was sie zu tun hatte: «Steig ein», sagte sie, und Poppy ließ ihren Sohn los und setzte sich auf den Beifahrersitz.
    «Ich hab mir überlegt: Was du jetzt brauchst ist Weite und frische Luft und den Himmel über dir», plapperte Julia. «Und etwas richtig Tolles zu essen, und ein Glas Wein.» Sie ließ den Motor an. «Ich habe mich schlaugemacht, es gibt hier in der Gegend ein ganz tolles Ausflugslokal, direkt am See, und wenn du Lust hast, können wir auch gleich schwimmen gehen, das macht den Buben Spaß. Ich hab dir Badesachen mitgebracht», wehrte sie Poppys Einwand ab, bevor sie ihn aussprechen konnte.
    Das grelle Grün teilte sich vor dem kleinen Wagen und flitzte rechts und links an ihnen vorbei. Poppy schloss die Augen. Was sie jetzt wollte – sie wusste es gar nicht. Sie war froh, dass Julia für sie entschieden hatte. Und für die Buben. Aber es stand auf ihrer Liste von Dingen, die sie lernen musste: selber denken.
    Wissen, was sie fühlte, was sie wollte, was sie dachte, was sie brauchte. Ihrer Intuition vertrauen, ihrer «inneren Stimme», wie es der Dienstagsarzt genannte hatte. Sie hatte die Adresse zweier Psychiater in der Tasche, die auf die Diagnose und Behandlung von ADS bei Erwachsenen spezialisiert waren. Die These, von der Poppy immer ausgegangen war, war: Was sie auch dachte, fühlte, wollte – es konnte nicht das Richtige sein, denn schließlich scheiterte sie schon an den kleinsten Dingen. Sie machte alles falsch. Es war deshalb besser, sich nach dem zu richten, was jemand anderer für sie fühlte, dachte oder wollte, jemand, der das Leben besser im Griff hatte. Diese These hatte sich nun, nach fünfzig Jahren, als falsch erwiesen. Eine neue war noch nicht an ihren Platz getreten.
    Auch damit war Poppy nicht allein, der Dienstagsdoktor hatte es gar als typisch bezeichnet. Man müsse die eigene Wahrnehmung trainieren wie einen Muskel, den man nie gebraucht hat, der verkümmert ist und schwach. Man musste, man konnte das.
    Es stand auf Poppys Liste.
    Ich möchte nach Hause, dachte sie, aber sie sagte nichts. Es zu denken, war für den Moment genug. Es zu wissen.
    Nach dem Essen schwamm Poppy weit in den See hinaus. Sie hatte nicht zwei Stunden gewartet, obwohl sie Wein getrunken und frittierte Eglifilets gegessen hatte, mit Tartarsauce und Pommes frites. Julia hatte einen kleinen Salatteller genommen.
    Poppy aß gierig.

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