Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
gehen!»
Er hatte die Erleichterung in ihrer Stimme gehört. «Saved by the bell», hatte er gesagt. Jetzt wartete er, bis es wieder vier Uhr nachmittags wurde. Heute würde er sich nicht abwimmeln lassen. Heute würde er mit Tina sprechen. Vielleicht sollte er vorher nicht noch ein Bier trinken. Oder vielleicht erst recht.
« Holy shit , Kumpel, dich hat es wirklich übel getroffen. Tochter weg, Job weg, Frau weg …»
«Wohnung weg», ergänzte Ted und nahm einen Schluck aus der Flasche. «Vergiss die Wohnung nicht.» Die Kündigung war vor ein paar Tagen gekommen, eingeschrieben. Der Hausbesitzer meldete Eigenbedarf an. Ted wusste nicht, warum er ausgerechnet diese Wohnung für sich wollte, es gab größere und schönere im Haus. Er könnte Rekurs einlegen, die Kündigung aufschieben. Vermutlich würde er damit sogar durchkommen. Die Kündigung lag auf dem Küchentisch, halb in den aufgerissenen Umschlag zurückgeschoben, er konnte sich nicht damit befassen. Go with the flow , dachte er, wo hatte er diesen Satz bloß schon einmal gehört? Die Nachbarinnen besuchten ihn nicht mehr. Kuchen wurden ihm keine mehr gebracht, auch keine mit Käse bestreuten Aufläufe. Ted war allein. Er redete tagelang mit niemandem, bis ihm die Lebensmittel ausgingen und er an der Kasse im Supermarkt wenigstens «bitte» und «danke» sagen musste. Es machte ihm nichts aus. Er vergaß, das Handy aufzuladen, das Telefon einzustecken, seine E-Mails anzuschauen. Er fühlte sich in seiner eigenen Gesellschaft überraschend wohl. Bis Tobias seine Höhle gestürmt hatte.
«Das konnte ja nicht gutgehen», sagte er jetzt. «Sei ehrlich, du hast es kommen sehen, außerdem hab ich’s dir ja gesagt. Hab ich’s dir nicht gesagt? Dein Leben war zu gut. So konnte es nicht bleiben.»
«Das Leben kann doch nicht zu gut sein! Höchstens gut genug!» Das war nicht genau, was Ted sagen wollte. Er bekam seine Gedanken nur schwer zu fassen. Vielleicht war er aus der Übung. Vielleicht war es das Bier.
«Und diese Frau – Lilly. Ich weiß, ich weiß, du hast einen Typ, aber mal ehrlich, brother , die passte jetzt ganz und gar nicht zu dir!»
«Lilly …» Das machte ihm seltsamerweise am wenigsten aus. Vielleicht, weil er es selber entschieden hatte, Lilly nicht mehr zu sehen. Wenn er an sie dachte, brannte es ein bisschen, mehr wie eine unangenehme Erinnerung an einen peinlichen Moment. Es war kein Schmerz. Kein Verlust. Kaum konnte er sich an ihr Gesicht erinnern. Wenn er an sie dachte, sah er nur ihren Haarvorhang vor sich. Keine Augen, keinen Mund. Dafür träumte er von Marie. Nacht für Nacht. Es war, als ob sie in seinem Bett auf ihn wartete, bis er einschlief, und sich dann über ihn hermachte.
Tobias beobachtete ihn. «Hey, du wirst ja rot! Mann, hast du etwa schon wieder etwas Neues laufen? Du lässt ja wirklich nichts aus!»
Ted schüttelte den Kopf. «So ist es nicht.»
«Wie ist es dann? Na komm schon, erzähl, gönn einem verheirateten Mann auch etwas, wenigstens aus zweiter Hand!»
«Es gibt nichts zu erzählen.» Marie hatte ihm in den letzten Wochen zwei oder drei Nachrichten hinterlassen. Er hatte sie nie zurückgerufen. Er wusste nicht, was er zu ihr sagen sollte. Nicht nach den Nächten, die sie zusammen verbrachten. In seinen Träumen. Wenn er aufwachte, brauchte er ein paar Minuten, um zu realisieren, wo er war und mit wem: mit sich allein. Er dachte an Marie wie an eine Geliebte. Mehr noch, eine Vertraute. Dabei kannte er sie kaum. Er wusste nichts über sie, und sie wusste nichts von ihren nächtlichen Besuchen in seinem Bett. Wie sollte Ted jetzt noch mit ihr reden? Er konnte es nicht. Aber er hatte die Stellenanzeige, die sie ihm geschickt hatte, ausgedruckt und an den Kühlschrank geklebt. In einer neuen Siedlung am Stadtrand wurde ein Unterstufenlehrer gesucht. Klassenübergreifender Unterricht, innovativer Ansatz, vergünstigte Wohnung.
«Da ist diese Frau …»
«Na also!»
«Aber ich kenne sie gar nicht wirklich.»
«Dann lern sie kennen! Du bist doch sonst nicht schüchtern!»
Ted schüttelte den Kopf. «Das geht nicht, ich … das verstehst du nicht …»
Tobias musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. «Was ist das für eine Frau? Existiert sie überhaupt, ich meine, außerhalb von deinem Kopf?»
«Ja, schon, aber …»
«Mit anderen Worten, es hat dich wieder voll erwischt. Mann, deine Kondition möchte ich haben! Wie ist sie denn so? Selbes Modell, neuerer Jahrgang?» Tobias lachte
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