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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Sie schmeckte das Salz auf den Pommes frites und die säuerlichen Gurkenstückchen in der sämigen Sauce, sie fühlte die krosse Panade der Fischstückchen in ihrem Mund, das weiche Fleisch. Das alles traf sie so heftig wie die Farben um sie herum. Die Eindrücke schlugen über ihr zusammen. Überwältigten sie. Sie sog den Geruch des Essens ein, sie schmatzte, bis ihre Söhne lachten.
    «Ja, so etwas hast du im Gefängnis wohl nicht gekriegt», sagte Julia. Die Buben schoben ihre Teller zur Seite, sie verlangten nach Geld, um Eis zu kaufen, das sie im Stehen aßen, dann rannten sie über die Wiese zum Wasser hinunter, sie hatten vergessen, dass sie Teenager waren und cool. Poppy ließ Julia vor ihren grünen Blättern sitzen und rannte ihnen nach. Sie spürte ihre Schenkel, die beim Laufen aneinanderrieben. Die Grashalme unter ihren Fußsohlen. Dann Steine. Ein Mückenstich auf der Schulter.
    Der sportliche Einteiler, den Julia für sie mitgebracht hatte, schnitt überall ein. Unter den Armen, zwischen den Beinen. Unter dem festen Material legte sich Poppys Bauch in enge Falten. Alles war zu viel, zu stark. Alles war verzerrt. Die glitschigen Steine unter ihren nackten Füßen, das Wasser, das grün war und kalt. Poppy tauchte schon im flachen Wasser unter. Die Kälte schlug über ihr zusammen, drückte sie nach unten, verdrängte alle anderen Empfindungen, dämpfte die zu starken Eindrücke.
    Ihr Gesicht brannte. Sie spürte jeden Kratzer, als fügte sie ihn sich in diesem Moment neu zu. Jeden einzeln. Trotzdem tauchte sie mit dem Kopf unter Wasser, spülte die Farbe des Abdeckstiftes ab, den Geruch der Seife in ihrem Haar. Poppy schwamm ihren Söhnen nach auf das Floß zu. Es war von jungen Menschen belegt, die dicht an dicht lagen. Seelöwen, dachte Poppy. Auf einer ihrer vielen Reisen hatte sie diese Tiere gesehen, die glänzenden Leiber beiläufig übereinandergehäuft. Irgendwo da drin lagen ihre Söhne, die keine Kinder mehr waren.
    Poppy umrundete das Floß. Sie schwamm langsam. Bei jedem Ausatmen tauchte sie den Kopf unter Wasser. Sie hielt die Augen geöffnet. Unter Wasser waren die Farben gedämpft, grau und braun. Jedes Mal, wenn sie zum Einatmen den Kopf hob, sah sie etwas ganz anderes, als sie erwartet hatte. Mit jedem Zug verlor sie die Richtung neu. Jetzt schwamm sie auf den Sprungturm zu. Zwei Kinder standen auf dem Fünfmeterbrett und forderten sich gegenseitig heraus, hinunterzuspringen. Schließlich hielten sie sich an den Händen und rannten laut schreiend bis zum Ende des Bretts und über das Ende hinaus. Klatschend tauchten sie unter. Eine Welle erreichte Poppy mit Verzögerung. Mit offenen Augen schwamm sie auf den Sprungturm zu und zog sich an der Eisenleiter hinauf.
    Sie schaute zum Fünfmeterbrett hinauf, das plötzlich sehr viel höher schien, als sie von unten gemeint hatte. Die beiden Kinder waren wieder aufgetaucht, um den Turm herumgeschwommen und kletterten hinter ihr die eisernen Tritte hinauf. Poppy ließ sich von ihren Stimmen anschieben, höher und höher, am Dreimeterbrett vorbei, bis sie ganz oben angekommen war. Die Stimmen der Kinder überschlugen sich vor Begeisterung. Poppy entschloss sich, ihnen zu vertrauen. Sie ließ das Geländer los und trat auf das Brett, das ihr plötzlich sehr dünn schien. Leicht im Wind schwankend ragte es ins Nichts hinaus. Die Kinder holten auf. Poppy hob den Kopf und schaute in den Himmel. Sie setzte einen Fuß vor den anderen, das Brett wippte mit ihr mit, es schien sie anzufeuern, bis ihr Fuß ins Leere stieß. Die Luft rauschte an ihr vorbei, Poppy riss die Arme hoch, streckte die Beine im Flug, brach durch die harte Wasseroberfläche und tauchte tief, tief hinunter. Es war sehr still plötzlich. Hier könnte sie bleiben. Doch die Luft in ihrer Lunge trieb sie nach oben. Poppy zog die Arme an den Körper und schoss hinauf. Sie schnappte nach Luft. Dicht neben ihr schlugen die Kinder auf, das Wasser überspülte sie noch einmal, Poppy tauchte den Kopf unter und schwamm zum Ufer zurück.
    Julia wartete am Steg mit einem Stapel exakt gefalteter Badetücher. Als sie Poppy kommen sah, schüttelte sie eins auf, hielt es vor Poppy hin und wickelte sie darin ein. Poppy fühlte sich wie ein kleines Kind, das von seiner Mutter aus der Badewanne gehoben wird. Dankbar lehnte sie sich an Julia. Diese kicherte: «Du hast den Badeanzug gesprengt, schau!» Poppy schaute unter das Tuch. Die Seitennaht war gerissen, weiß quoll ihr Fleisch aus dem leuchtend

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