Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
wiehernd.
«Nein», sagte Ted. «Sie ist ganz anders. Das ist es ja eben. Wie soll ich sie beschreiben? Sie ist kompetent. Sie ist stark. Sie braucht niemanden. Ich kenn mich mit solchen Frauen nicht aus. Ich weiß nicht einmal, ob sie mir wirklich gefällt …»
«Es geschehen noch Zeichen und Wunder!», rief Tobias. «Mal nicht die Prinzessin, sondern der Turm, in dem die Prinzessin eingesperrt ist! Das gefällt mir.» Er nahm noch einen Schluck aus der Flasche. «Das muss ich Eveline erzählen, sie wird ein Kreuz an die Decke malen! Wenn sie es mir überhaupt glaubt.» Gerührt betrachtete er seinen Freund, bis sein Blick verschwamm. Er stellte die Flasche auf den Tisch und begann zu singen: « Freedom’s just another word for nothing left to lose … Weißt du was, mein Freund? Das ist dein Leben. Genau das. Du lebst diesen Song!»
«Komm mir jetzt bloß nicht mit Janis Joplin!» Ted hatte dieses Lied immer gehasst, so wie alle anderen Frauenhymnen, die er als Kind in Endlosschlaufen gehört und die ihn bis in seine Träume verfolgt hatten. Während die Mütter im Wohnzimmer tanzten, barfuß und mit trotzig erhobenen Fäusten. The ballad of Lucy Jordan, What’s love got to do with it, I will survive …
«Nein, ich meine es ernst, denk mal drüber nach!»
Ted tat ihm den Gefallen. «Ich weiß, was du meinst: Ich habe nichts mehr zu verlieren, ich habe schon alles verloren. Jetzt kann mir nichts mehr passieren. Jetzt bin ich frei. Und alles ist wieder möglich.»
Tobias nickte nachdrücklich. «Genau das hat Eveline auch gesagt.» Ihr Arzt hatte ihnen geraten, die Fruchtbarkeitsbehandlung abzubrechen. Die Chancen auf Erfolg waren zu gering, um sie mit gutem Gewissen weiterzuführen. «Sie hat nicht mal geweint, sie war irgendwie erleichtert, jetzt ist es wenigstens klar.» Sie hatten sich entschieden, ein Adoptionsgesuch zu stellen. Sie hatten sich bereits für den obligatorischen Vorbereitungskurs angemeldet. «In den Romanen, die sie liest, würde sie jetzt natürlich schwanger werden, jetzt, wo sie nicht mehr daran denkt. Und dann hätten wir zwei Babys gleichzeitig. Von mir aus muss das aber nicht sein. Sag ich dir ganz ehrlich.»
«Ich dachte, ihr wollt gar kein Baby? Habt ihr euch nicht um ein älteres Kind beworben?»
«Die Chancen stehen einfach sehr viel besser, wenn du auch bereit bist, ein älteres Kind zu adoptieren, oder eins mit gesundheitlichen Problemen.» Tobias lächelte, als sähe er sein Kind schon vor sich. «Am dunkelsten ist die Nacht, kurz bevor der Morgen graut – wer hat das noch mal gesagt?»
«Hör auf, das war eine Naziparole. Damit haben sie den Endsieg noch heraufbeschworen, als alles schon verloren war.»
«Trotzdem», beharrte Tobias. «Der Spruch hat was. Der kann ja nichts dafür, von wem er zitiert wird, oder? Schau dir Eveline an – das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnte, ist wahr geworden. Sie kann keine Kinder bekommen. Und seit sie das weiß, geht es ihr viel besser. Weil sie keine Angst mehr davor haben muss, verstehst du?»
«Das versteh ich sogar sehr gut.»
«Und für mich ist es dasselbe. Meine größte Angst ist ja nicht, dass wir kein Kind bekommen, sondern dass Eveline nicht das bekommt, was sie sich vom Leben wünscht. Dass ich ihr nicht das geben kann, was sie glücklich macht. Und jetzt liegt es auf dem Tisch. Jetzt können wir reagieren.»
«Das ist deine größte Angst?» Ted starrte ihn an. «Dass du deine Frau nicht glücklich machen kannst?» Etwas würgte ihn, er schluckte daran. «Warum erzählst du mir dann immer diesen Scheiß von wegen die Ehe ist ein Gefängnis, als verheirateter Mann könntest du ebenso gut lebendig begraben sein, dass du andere Frauen kennenlernen willst, und all das?»
Tobias runzelte die Stirn. «Du bist mein Freund», sagte er einfach.
«Ja, und? Was hat das denn damit zu tun?»
«Du quälst dich dermaßen mit den Weibern, dass es nicht zum Zuschauen ist. Und da soll ich dir noch ständig vorhalten, was dir entgeht? Was wahre Liebe ist? Da tu ich doch lieber so, als würdest du nichts verpassen. Oder als beneide ich dich sogar um deinen traurigen Zustand. Das nennt man Freundschaft, buddy!»
Ted schluckte wieder. Es waren Tränen, die in seinem Hals hockten. Er wollte aufstehen und seinem Freund in die Arme fallen, sie würden sich ungeschickt auf die Schultern hauen, wie sie es manchmal taten.
Doch Tobias sprach schon weiter. «Aber es hält nicht an, weißt du. Dieser Zustand. Diese Freiheit. Du
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