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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Beton ziehen, der rasch härter wurde. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen. Endlich hatte sie ihre Matte erreicht.
    «Ich werde die Asanas heute nicht selber vormachen», sagte sie. «Meine Hände sind immer noch geschwächt. Nadine wird die Übungen zeigen, und ich werde euch ausrichten.»
    Nadine zog ihre Matte nach vorne und legte sie quer vor die Klasse. Sie stellte sich mit zum Gebet gefalteten Händen hin, die Augen bescheiden gesenkt. Blick nach innen. Sie hatte die Hälfte von Nevadas Honorar gefordert. «Wenn ich die Übungen vormache, kann ich die Stunde ja auch gleich selber unterrichten.»
    «Es gehört schon ein bisschen mehr dazu, als vorzuturnen!»
    «Ach, wirklich?» Nadine durchlief das fünfmonatige Ausbildungsprogramm zur Yogalehrerin, das Lakshmi im Studio anbot. Außer Nevada hatten alle Lehrerinnen, die im Studio unterrichteten, dieses Programm absolviert. Sie kamen als Schülerinnen, übten ein Jahr lang oder zwei, leisteten sich einen Yogaretreat auf einer exotischen Insel und beschlossen dann, Yoga sei ihre Bestimmung. Ihr Lebensinhalt. Obwohl Nevada diese Ausbildungsblöcke zum Teil selber unterrichtete, konnte sie diese biegsamen jungen Frauen nicht ganz ernst nehmen.
    «Bist du sicher, dass du nicht einfach neidisch bist?», hatte Lakshmi sie gefragt. «Du klingst wie eine alte Frau: Früher, als ich noch jung war, war alles besser. Als ich noch jung war …»
    «Hör doch auf!» Das wollte Nevada nicht hören. Wie konnte sie alt sein? Versprach Yoga nicht ewige Jugend? Was hatte sie falsch gemacht?
    Passende Anstrengung, dachte Nevada. Stetiges Üben. Jetzt nicht aufgeben. Nicht vom Weg abkommen. Nur wer intensiv übt, erreicht das Ziel. Yoga Sutra 1.21 .
    Sie sollte die Intensität steigern. Keine Schwäche zeigen. Eine Yogini kennt keinen Schmerz. Nevada dachte an die Pilger, die sie in Indien gesehen hatten, die eiserne Haken durch die Brust, durch den Rücken gezogen hatten. An den Haken waren eiserne Ketten befestigt, und an diesen Ketten ganze Altare. Diese Altare symbolisierten ihre Sorgen, vielleicht auch ihre Sünden, so genau hatte Nevada das nicht verstanden, jedenfalls schleppten die gläubigen Hindus ihre Sorgen so einen Berg hinauf zu einem Tempel, wo sie diese Sorgen, diese Sünden deponierten. Bei einem Gott. Sie litten keine Schmerzen, «wer genug glaubt, leidet nicht», sagten sie. Dass Nevada Schmerzen litt, bewies nur, dass sie sich nicht genug anstrengte.
    Doch sie konnte sich nicht überwinden. Jeden Tag war sie um fünf Uhr aufgestanden, hatte sich durch ihre Übungsreihe gequält, jeden Tag hatte sie früher aufgegeben, bis sie am Ende nur auf ihrer Matte auf dem Rücken lag, die Beine an der Wand abgestützt. Während Tränen über ihr Gesicht liefen.
    Nevada war in einer riesigen alten Jugendstilwohnung aufgewachsen, die, als ihr Vater zum ersten Mal richtig Geld verdiente, komplett renoviert worden war. Mit Chromstahl und Marmor, mit Spiegeln und schwarzem Leder. Die Küche sah aus wie ein Operationsraum. Eine Schaltzentrale, von der aus ihre Mutter Martha die Geschicke lenkte. Martha hatte alles im Griff. Wenn sie Nevada und deren Schwester Sierra morgens weckte, war sie schon fertig angezogen, frisiert und geschminkt. Das Frühstück stand bereit, die Sonne schien durch das große Fenster, es hätte jederzeit ein Werbespot in ihrer Küche gedreht werden können. Martha Marthaler glaubte daran, dass man in jedem Moment auf alles gefasst sein musste. Zieh dir anständige Unterwäsche an, du weißt nicht, ob du heute nicht von einem Auto angefahren und ins Spital gebracht wirst. Was sollen denn die Ärzte von dir denken? Mach dein Bett, du weißt nicht, ob du heute noch lebend nach Hause kommst! Martha hatte alles im Griff, außer natürlich ihren Mann, Beni Marthaler, genialer Werbetexter und Alkoholiker. Nur nannte man das damals nicht so. Er war ein sogenannter Kreativer. Alle Kreativen tranken. Alle fielen ab und zu in ein tiefes Loch.
    Nevada saß an der Frühstücksbar aus poliertem Marmor. Der mit schwarzem Leder bezogene Barhocker war etwas zu hoch für sie. Sie musste sich am kalten glatten Tresen festhalten und über die Verstrebungen am Fuß des Hockers hinaufklettern. Ihre Mutter stellte einen Teller mit Knäckebrot und Hüttenkäse vor sie hin. Sierra löffelte eine halbe Grapefruit, Mutter nahm eine Cola light aus dem Kühlschrank, öffnete die Dose, es zischte. Sie zündete sich eine Zigarette an und rauchte, während die Mädchen aßen. Zwischen

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