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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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hochgedreht, die ersten schwitzten schon.
    «Chatturangha Dandasana» , sagte sie laut. Im Zweifelsfall die Liegestütze.
     
Marie
     
    Sie hätte nach ihrer Schicht nicht noch erst nach Hause gehen dürfen. Normalerweise fuhr sie direkt zum Yogastudio, aber sie hatte ihre Yogahose vergessen. Einen Augenblick lang hatte sie überlegt, im Shop eine neue zu kaufen, aber sie wusste, dass ihr keins der ausgestellten Modelle dort passen würde, und sie hatte nicht die Nerven, sich das von Nadine erklären zu lassen, ihren jungen, kalten Blick auf sich zu spüren. Also fuhr sie in die verwinkelte Altstadt hinein, stellte das Auto im Halteverbot ab, schaltete die Warnblinker ein und rannte nach oben.
    «Ich bin’s!», rief sie mit falscher Fröhlichkeit. «Hab nur was vergessen, bin gleich wieder weg!» Doch da stand Gion im Türrahmen. Ungewaschen, unrasiert, die schwarzen Haare in alle Richtungen abstehend. Marie blieb stehen. Sie wollte ihre Arme ausbreiten, ihn auffangen, stattdessen wandte sie sich ab.
    «Ich hol nur schnell meine Yogahose.»
    «Yoga? Gehst du jetzt noch ins Yoga?»
    «Jeden Montagabend. Seit Anfang Jahr.»
    Sie wühlte in den Schubladen, sie wollte nicht zu spät kommen.
    «Yoga. Hm. Wir hatten eine Zeitlang eine Yogalehrerin auf dem Set», sagte Gion. «Die war echt gut. Das hat mir viel gebracht. Damals.» Er seufzte.
    Marie hatte eine Hose gefunden, eine dunkelgrüne, verwaschene, nicht besonders vorteilhafte. Sie steckte sie ein. «Ich muss!»
    «Weißt du was?» Gion streckte den Rücken durch, gähnte. «Ich komme mit!»
    «Aber …»
    «Das ist genau das, was ich jetzt brauche! Abschalten, den Kopf leeren, mich entspannen.»
    «Die Stunde beginnt aber gleich. Ich bin schon spät dran!»
    «Ich bin bereit!» Lächelnd hakte er sich bei ihr ein.
    «Willst du nicht …»
    «Was denn?»
    Duschen, wollte sie sagen, etwas Frisches anziehen und überhaupt …
    «Ich hab ja sozusagen schon Trainingskleidung an», sagte Gion und zeigte auf seine ausgebeulte Hose. «Als ob ich es geahnt hätte. Wenn das kein Zeichen ist!»
    «Gut», sagte Marie, denn was sollte sie sonst sagen. Sie stieg ins Auto und wünschte sich, es würde nicht anspringen. Gion setzte sich auf den Beifahrersitz. Was sagte es über ihre Ehe aus, dass die Anwesenheit ihres Mannes, den sie liebte, ihr den Abend zu verderben drohte? Sie ließ den Motor an. Das Auto startete zuverlässig.
    «Die werden doch nicht hysterisch werden, wenn ich dort auftauche», überlegte Gion. «Ich meine, das sind Yogis, die werden wohl eine gewisse Gelassenheit an den Tag legen – oder was meinst du, vielleicht sehen die gar nicht fern? Ich meine, so eine Arztserie ist vielleicht gar nicht auf deren Radar, das ist denen zu mainstream , nehm ich mal an … vielleicht verachten sie mich sogar für das, was ich tue …»
    Wenn sie dich nicht kennen, können sie dich auch nicht verachten, dachte Marie. Sie sagte: «Ach, das glaube ich nicht!»
    «Am liebsten wäre es mir, wenn sie mich gar nicht erkennen würden», sagte Gion. Er legte den Kopf zurück und schloss die Augen. «Du machst dir keine Vorstellung. Einmal behandelt zu werden wie alle anderen, wie ein ganz normaler Mensch!»
    «Mhm.» Marie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er zerbrechen würde, wenn das tatsächlich einmal passieren sollte. Das Letzte, was er wirklich wollte, war, nicht wahrgenommen zu werden. Warum wäre er sonst Schauspieler geworden? Sie liebte ihn nicht trotz, sondern wegen dieser Widersprüche, sagte sie sich. Sie bog in die schmale Straße am Flussufer ein. Es war vier Minuten vor sieben. Manchmal gab es um diese Zeit keine Parkplätze mehr. Doch heute Abend fand sie einen direkt vor dem Eingang. Sie schaltete den Motor aus, Gion nahm eine Sonnenbrille aus dem Handschuhfach, setzte sie auf und stieg aus. Er rieb sich die Hände. «Dann wollen wir mal!»
    Monatelang hatte er sich in seinem Arbeitszimmer verkrochen, und, wie Marie vermutete, auf dem Internet Poker gespielt oder Pornographie heruntergeladen. Wochenlang hatte er kaum gesprochen, war er in Verzweiflung versunken, in der Gewissheit, dass seine Karriere zu Ende war, dass er nie mehr arbeiten würde, schon gar nicht fürs Fernsehen. Er hatte, wie alle anderen, ein Stillschweigeabkommen unterschrieben. Solange die Serie noch lief, solange ihr Ende noch nicht offiziell bekanntgegeben worden war, durfte er es nicht verraten. Das hieß, er konnte sich noch nicht nach einer neuen Arbeit umsehen. Tag für Tag

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