Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
Füße benehmen sich manchmal, als gehörten sie jemand anderem. Sie tun nicht, was ich will.»
«Hm. Hast du deine Übungsabfolge verändert? Oder deine Ernährung umgestellt?»
«Lakshmi, ich lebe seit Jahren vegan! Ich rauche nicht, ich trinke noch nicht mal Kaffee! Ich esse kaum Zucker. Ich weiß nicht, was ich noch weglassen könnte!»
«Das mein ich doch gar nicht. Im Gegenteil, vielleicht solltest du etwas hinzufügen.» Lakshmi rutschte näher. «Okay, ich verrate dir jetzt etwas, aber bitte sag es nicht weiter. Niemandem.»
«Nein, natürlich nicht.» Du auch nicht, wollte Nevada hinzufügen, sag bitte auch nichts weiter, ich bin noch nicht so weit, ich kann noch nicht darüber reden, ich will nicht, dass die anderen Yogalehrerinnen wissen, dass ich nicht die Kraft habe, allein die Treppe hochzukommen!
Lakshmi rutschte ganz nahe an sie heran. «Als ich letztes Jahr mein Burn-out hatte, erinnerst du dich?»
Nevada nickte. Vor einem Jahr war Lakshmi plötzlich verschwunden. Eines Abends hatte sie nach der letzten Stunde das Studio abgeschlossen, Nevada den Schlüssel in die Hand gedrückt und gesagt: «Mach du weiter, ich kann nicht mehr.» Sieben Wochen lang hatte Nevada das Studio geführt, ohne zu wissen, wo Lakshmi war oder ob sie je wieder zurückkommen würde. Die Administration, die Buchhaltung, das Leiten des Teams von jungen Yogalehrerinnen, das alles hatte Nevada heillos überfordert. Sie war froh gewesen, dass sie ihren ursprünglichen Traum, ein eigenes Studio zu führen, nicht verwirklicht hatte, sondern bei Lakshmi eingestiegen war. Jeden Tag hatte sie gehofft, dass Lakshmi zurückkommen würde. Sieben Wochen lang.
Sie hatten nie wirklich darüber gesprochen. «Ich brauchte einfach mal eine Auszeit», hatte Lakshmi nur gesagt. Sie hatte Nevada einen reichbestickten Kaschmirschal geschenkt, der bestimmt sehr viel gekostet hatte. Nevada legte ihn sich um die Schultern. Die metallenen Fäden kratzten auf ihrer Haut.
«Also, ich war ja damals in einer Ayurvedaklinik in Sri Lanka. Ich hab ein Panchakarma gemacht, das große Reinigungsritual, ich habe gefastet, den Darm ausgespült, alles, was dazugehört. Aber es ging mir einfach nicht besser. Ich heulte jeden Tag, meine Haare fielen aus, ich wurde immer dünner – nicht, dass ich mich darüber beklagt hätte, aber eben, ich war so müde, so bodenlos müde! Eines Tages, als ich vom Behandlungsraum zu meinem Bungalow ging, sah ich die zwei jungen Frauen, die mich jeden Tag mit Sesamöl abrieben, auf den Stufen sitzen und etwas essen, es roch so gut, Nevada! Ich trat näher, sie versuchten, die Papiertüten zu verbergen, da sah ich, was es war! Doppelburger vom Fast Food!
‹We not Hindu› , sagten sie entschuldigend. ‹ Please, Madam, no tell!› Ich konnte nur den Kopf schütteln. Ich streckte die Hand aus, widerwillig gab mir die jüngere Frau ihren Burger, und ich verschlang ihn in drei Bissen. Nevada, es war wie eine Wunderdroge. Kaum hatte ich das Fleisch der heiligen Kuh hinuntergeschluckt, kam die Kraft zurück. Von da an brachten sie mir jeden Tag verbotenes Essen in die Klinik, die selbstverständlich vegan geführt wurde. Und seither, Nevada, seither esse ich jeden Tag ein Stück Fleisch, ich esse es, wie ich Medizin schlucken würde. Willst du es mal probieren?»
«Ich kann kein Fleisch essen, Lakshmi, es ist einfach gegen meine tiefste spirituelle Überzeugung.»
«Bist du sicher? Ich hab noch Curry mit Huhn im Kühlschrank, das kann ich in der Mikrowelle aufwärmen, dauert keine Minute!»
«Seit wann hast du eine Mikrowelle?»
«Also wenn du dich hier zur Hüterin der yogischen Moral aufspielen willst, bitte. Ich hab’s ja nur gut gemeint!»
«Ich weiß, Lakshmi, ich weiß. Ich will auch gar nicht urteilen, ich war nur erstaunt, das ist alles.»
«Und, willst du nun mein Curry versuchen?»
«Nein, Lakshmi, es tut mir leid, aber das kann ich wirklich nicht.»
Wie hätten sich die Dinge entwickelt, wenn sie das Huhn gegessen hätte? Nur einen Bissen. Von einem Huhn. Einem Lebewesen, das schon längst nicht mehr lebte. Das nicht ihretwegen getötet worden war. Das schon zerlegt, verkauft und zubereitet in Lakshmis Kühlschrank lag. Nur einen Bissen, dachte Nevada, als sie ein paar Tage später die Rundmail von Lakshmi öffnete.
Als sie nach drei Monaten als diplomierte Yogalehrerinnen aus dem Hotel Taj Mahal auscheckten, hielt der Angestellte an der Rezeption zwei Umschläge für sie bereit. Einen für Lakshmi, einen
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