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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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für Nevada. Lakshmi steckte ihren ungeöffnet in die Tasche und reichte ihre Kreditkarte über den Tisch. Nevada öffnete ihren Umschlag. Auf mehreren dichtbedruckten Seiten war aufgelistet, was sie in diesen Wochen verbraucht hatte, von den anteiligen Übernachtungskosten in der Suite über die spätnachts bestellten Hamburger zu den Telefonanrufen in die Schweiz und nach New York bis zu jeder einzelnen Minibarflasche. Der Gesamtbetrag, bereits umgerechnet, belief sich auf über zehntausend US-Dollar.
    Die Hotelhalle hielt den Atem an. Alle Geräusche verstummten. Die Marmorsäulen in der Halle begannen zu schwanken wie dünne Bambusrohre. Nevada hielt sich an der Theke fest, ihre Hände waren so feucht, dass sie keinen Halt fanden. Eine saure Flüssigkeit stieg tief aus ihrem Magen auf und füllte ihren Mund. Einen endlosen Augenblick lang stand sie so da, stellte sich vor, was sie sagen würde – bis an ihr Lebensende würde sie das nicht abzahlen können, all die kleinen Flaschen aus der Minibar, all die Erdnüsse – sie würde nicht ausreisen können, im Gefängnis landen …
    Dann hob Lakshmi den Kopf, blickte kurz zu Nevada herüber und sagte dann lässig zu dem Angestellten: «Alles auf meine Karte, bitte.»
    Namaste, Yoginis! , begann die Rundmail, die Lakshmi ein paar Tage später verschickte. Ihr alle wisst, dass Nevada in der letzten Zeit mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, sowohl auf der körperlichen wie auf der karmischen Ebene. Dies hat zu einem Ungleichgewicht in der Studio-Energie geführt, unter der viele von euch leiden. Ich nehme eure Vorwürfe und Beschwerden ernst, doch wir müssen diese Probleme auf yogische Art, offen und authentisch, angehen. Wir alle müssen die Verpflichtung, die wir unserem Dharma gegenüber eingegangen sind, neu überprüfen, speziell aber Nevada. Team Meeting in der Bar am Fluss nächsten Montag um 15 Uhr. Das Licht in mir grüßt das Licht in euch. Lakshmi.
    Damals in der klimatisierten Hotelhalle hatte Nevada nur gehofft, dass Lakshmi ihr Entsetzen nicht gespürt hatte. Jetzt dachte sie: Sie hat es nicht nur gespürt, sie hat es provoziert. Und genossen.
     
Ted
     
    Seine Knie ragten spitz in die Höhe. Seine Hüften schmerzten. Seine geschlossenen Lider flackerten, sein Atem rauschte, zischte, pfiff überlaut durch seine Nasenlöcher ein und aus. Eine Hand berührte seine Schulter. Er öffnete die Augen. Nevada kauerte vor ihm. Sie hatte ihm ein dickes, langes Kissen hingeschoben. Mit einer Geste bedeutete sie ihm, sich darauf zu setzen. Er entknotete seine Beine, sein linker Fuß war eingeschlafen, und setzte sich auf das harte Kissen. Seine Knie senkten sich. Seine Hüften atmeten auf. Nevada nickte. Er schloss die Augen. Ein. Aus.
    Ted hatte seine Matte erst ganz hinten im Saal ausgerollt, nur um dann von Nevada ganz nach vorne gebeten zu werden.
    «Rutscht alle etwas näher», hatte sie gesagt. Die fünf oder sechs Schüler, die sich zur Anfängerstunde eingefunden hatten, folgten ihrer Anweisung. Als Nächstes hatten sie sich einander vorstellen müssen. «Tauscht etwas aus, das für euch persönlich wichtig ist.» Ted war versucht gewesen, aufzustehen und zu gehen. Im Rahmen diverser Lehrerfortbildungstage hatte er schon zu viele solcher «teambildender» und «persönlichkeitserweiternder» Übungen gemacht, um sie noch ernst nehmen zu können.
    «Ich heiße Marie», sagte leise neben ihm die Ärztin.
    «Ted. Ich hab dich schon mal gesehen.»
    «Stimmt.» Marie lächelte. Sie machte keine Anstalten, ihm etwas Persönliches mitzuteilen, und er war ihr dankbar dafür. Sie richtete ihren Blick wieder nach vorn. Aus den Augenwinkeln nahm Ted wahr, dass einige Schüler sich im Sitzen voreinander verneigten, die zusammengepressten Handflächen vor die Stirn gehoben. Affig, dachte er. Er war froh, dass Marie das nicht getan hatte. Er fragte sich, warum sie die Anfängerstunde besuchte. Und ob er wohl auch hier der einzige echte Anfänger sein würde. Immerhin war er diesmal nicht der einzige Mann.
    Nadine am Empfang hatte ihn sofort wiedererkannt, als er ihr seinen Gutschein gereicht hatte. «Die Anfängerstunde wird aber auch von Nevada unterrichtet», sagte sie. «Wenn du lieber zu einer anderen Lehrerin willst …» Sie schob ihm einen gefalteten Stundenplan zu. «Oona ist gut. Oder Dolores. Ich selber habe erst mit der Ausbildung angefangen, aber ich assistiere schon manchmal.»
    «Cool», sagte Ted. Weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.

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