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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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war, hatte sich aufgelöst in ihrem Kopf. Ohne Spuren zu hinterlassen.
    Wolf hingegen. Wolf hatte sie nie vergessen. Obwohl sie das Bild, das der Freundschaftsanfrage beilag, nicht gleich erkannte. Es war kleiner als eine Briefmarke. Was sie noch wusste, was jede Zelle in ihrem Körper noch wusste war, wie sie sich gefühlt hatte in den knapp zweieinhalb Jahren mit Wolf: normal. Mit Wolf war alles einfach gewesen, was sonst so schwierig war. Das hatte sie damals nicht wissen können: Dass es schwierig bleiben würde. Dass diese zweieinhalb Jahre mit Wolf die einzigen in ihrem Leben sein würden, in denen sie nachts nicht vor Erschöpfung wach lag. Ein Teil von ihr hatte immer, in jeder Beziehung, mit jedem Mann, an Wolf gedacht, und: Warum kann es nicht einfach … einfach sein?
    Jetzt war er wieder da. In einer kleinen Briefmarke auf ihrem Bildschirm.
    Freundschaft annehmen , klickte sie, und wenige Augenblicke später konnte sie Wolfs Leben anschauen. Das Erste, was sie sah, war ein Hochzeitsbild. Eine blonde Frau mit vielen Zähnen. Keine Kinder. Ein Hund.
    Sie sah, dass er noch neu bei Facebook war, erst wenige Freunde hatte, wenige Bilder, wenig Information über sich selbst. Poppy hingegen war in der virtuellen Welt zu Hause. Sie entsprach ihr, so dachte sie manchmal, mehr als die wirkliche. Sie war, trotz ihrer Uferlosigkeit, überschaubarer, weil sie sich am Ende doch auf die Größe des Bildschirms ihres Computers zurechtstutzen, weil sie sich durch das Anklicken einer Taste beherrschen ließ.
    Sie schickte Wolf eine Nachricht.
    Willkommen, schrieb sie und wusste dann nicht weiter.
    Willkommen, Wolf.
    Willkommen in dieser neuen Welt, in der wir beide uns bewegen.
    Dann löschte sie alles wieder.
    Willkommen, Wolf.
    Sekunden später schrieb er ihr zurück. Sie schrieben hin und her, während draußen vor dem Fenster der Nachmittag vorüberging und die bleiche Frühlingssonne sich hinter Wolken versteckte.
    Die alte Leichtigkeit war sofort wieder da. Die Selbstverständlichkeit.

 
    sukh ā nu ś ay ī r ā ga ḥ
    Blindes Begehren beruht auf der
    (falschen) Annahme, etwas oder jemand
    könne uns glücklich machen.
    Patanjali Yoga Sutra 2 . 7

     
Poppy
     
    Was tat sie hier? In diesem Bett, mit diesem Mann? Poppy hatte das alles schon einmal erlebt. Meine Frau versteht mich nicht. Wir leben seit Jahren nebeneinander her. So wie mit dir habe ich mich noch nie gefühlt. Das habe ich noch nie erlebt. Du hast mich wieder zum Leben erweckt. Mit dir lebe ich erst.
    Um halb sechs in der Bar am Fluss. Neunzig Minuten, bevor die Yogastunde begann, bevor Poppy im Studio sein musste. Neunzig Minuten konnten sehr lang sein. Oder sehr kurz.
    Um halb vier Uhr nachmittags klingelte der Wecker auf Poppys Bildschirm. Sie verabschiedete sich aus allen Chatrooms, schaltete das E-Mail-Programm aus und klappte den Laptop zu. Sie nahm eine Dusche. In ein großes Tuch gewickelt stand sie in ihrem Schlafzimmer und zog jedes einzelne Kleidungsstück, das sie besaß, einmal an und wieder aus. Vor ihrem Bett bildete sich ein nicht allzu großer bunter Haufen. Schließlich beschloss sie, genau das anzuziehen, was sie vor einer Yogastunde immer anzog, die Yogahose mit den weiten Beinen, darüber einen kurzen Rock, ein kurzärmeliges T-Shirt über einem langärmeligen, eine bestickte Jacke, ein Tuch, das sie wahlweise um ihren Kopf, ihren Hals oder ihre Taille wickeln konnte. Schließlich hatte sie sich für Wolf nie verkleiden müssen. Sie würde jetzt nicht damit anfangen. Doch sie trug etwas Lippenstift auf, das tat sie sonst nie, jedenfalls nie vor der Yogastunde. Als sie die Wohnung verließ, war es bereits kurz vor halb sechs. Sie würde zu spät kommen. Dabei hatte sie sich so viel Zeit genommen.
    Sie fuhr mit dem Fahrrad zur Fabrik, die zusammengerollte Yogamatte auf den Gepäckträger geklemmt, die so gleichzeitig der Sicherheit diente, einen gewissen Abstand einforderte, den Fußgänger und Autofahrer rechts und links einhalten mussten. Der Weg zur Fabrik war nicht lang, und es ging geradeaus. Trotzdem war sie zehn Minuten zu spät. Zehn Minuten galten noch nicht als Verspätung, beruhigte sie sich.
    Wolf war schon da. Sie sah ihn aus den Augenwinkeln, als sie ihr Fahrrad abschloss. Sie beugte sich zum Schloss hinunter, das bunte Tuch rutschte von ihrem Kopf, verfing sich im Gepäckträger, die Tasche fiel von ihrer Schulter und entleerte ihren Inhalt auf die Pflastersteine. Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, ihr

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