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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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sie sich langweilte, wurde sie zickig. Dann mochte sie sich selber nicht mehr. Als sie es nicht mehr aushielt, ging sie. Seither war sie keinen Tag mehr froh gewesen. Es dauerte Jahre, bis sie diese beiden Tatsachen miteinander in Zusammenhang brachte. Er fehlte ihr, wie ihr ein Bein fehlen würde. Sie war aus dem Gleichgewicht. Musste das Gehen und das Stehen neu lernen. Das Leben ohne Wolf war einfach verkehrt, ganz verkehrt.
    Dabei war es ihr erst so fremd gewesen, das Leben mit Wolf. Wie wenn man von der Straße ins Haus tritt und erst nicht weiß, was das ist: diese Abwesenheit von Lärm. Ihr Leben mit Wolf war plötzlich diese Stille. Plötzlich keine Ansprüche, keine Vorwürfe mehr. Bei Wolf musste sie sich nicht anstrengen, sie musste sich keine Mühe geben, nicht an der Beziehung arbeiten. Sie musste nicht gut genug sein, um von ihm geliebt zu werden.
    Weil ich ihn nicht wirklich liebe, dachte sie damals. Dumm. Jung. Weil ich ihn nicht wirklich liebe, kann ich in seiner Gegenwart ruhig atmen.
    Sie hatte falsch gedacht. Es war genau umgekehrt. Wolf war ihr Zuhause. Sie hatte ihn verlassen, und seither irrte sie durch die Straßen. Und es war laut.
    Poppy verliebte sich schnell und entliebte sich wieder. Sie war eine dieser Frauen, die mit jedem Mann die Identität wechselten. So war sie ein Hippie gewesen, ein Punk, Musikerin, Freigeist, Alphirtin, Mitglied der Jungsozialistischen Partei, Tangotänzerin, Intellektuelle, Raucherin selbstgedrehter Zigaretten, Vegetarierin, Hausfrau und Mutter.
    Poppy hatte viele Freunde. Sie lernte schnell Menschen kennen, sie stellte mühelos eine Nähe her, die sich anfühlte, als bestünde sie schon ewig. Trotzdem wechselte sie ihren Freundeskreis ständig. Auch ins Leben ihrer Freunde schmiegte Poppy sich ein wie eine formbare Masse, wie ein Puzzleteil.
    Sie wusste, dass sie nicht normal war. Nicht wie die anderen. Sie fühlte sich wie eine verpuppte Raupe, wie Dornröschen, der richtige Mann würde sie aufwecken, befreien, zu einem vollständigen Menschen machen. Doch keiner hielt, was sie sich von ihm versprach. Das schien umgekehrt auch der Fall zu sein. Ein Mann nach dem anderen wandte sich enttäuscht von ihr ab. «Du bist ja eine richtige Katastrophe», hatte einer gesagt. «Und ich dachte, ich hätte mich in eine starke Frau verliebt!»
    Poppy konnte nicht lange mit einem Mann zusammen sein. Es war zu viel. Es kostete sie größte Anstrengung, Stunde um Stunde. Sie kam zum Schluss, dass sie für eine herkömmliche Beziehung nicht gemacht war. Doch dann lernte sie Peter kennen, und Peter hatte einen Plan. Peter gab ihr zum ersten Mal das Gefühl, es sei alles machbar. Und gar nicht so schwierig. Peter wusste, was er wollte: heiraten, eine Familie gründen, aufs Land ziehen. Ein offenes Haus führen. Interessante Menschen würden bei ihnen ein und aus gehen, an ihrem großen Holztisch würde diskutiert, politisiert, die Gesellschaft verändert werden. Poppy würde riesige Töpfe auf den Holztisch stellen, raffinierte, aber mühelos herbeigezauberte Gerichte. Selbstgebackenes Brot. Peter hatte große Pläne, er brauchte eine besondere Frau. Poppy war eine besondere Frau. «Du hast das gewisse Etwas», sagte er. «Du verzauberst jeden. Mann, Frau, Kind und Hund!»
    Poppy wartete nur darauf, dass Peter merkte, wie sie wirklich war: überfordert, hilflos, unfähig. Zu nichts zu gebrauchen.
    Es dauerte fast zehn Jahre. Aber schließlich sagte er es: «Du bist zu nichts zu gebrauchen.»
    Poppy hatte das Gefühl, mehrere Leben gelebt zu haben, hintereinander, manchmal nebeneinander, eins hatte das andere ersetzt, nichts war geblieben. «Du bist eine Verbraucherin», hatte Peter einmal zu ihr gesagt. Ihre Absätze waren immer schiefgetreten, die Schuhe abgewetzt, Wollpullover bildeten beim ersten Tragen schon Fusselchen an der Seite, wo die Arme am Körper aufliegen. Wenn sie Nagellack auftrug, blätterte er am ersten Tag ab. Lippenstift hielt sich nicht auf ihren Lippen, Haarfarben verblichen schnell. Sie war oft umgezogen, hatte sich immer wieder neu eingerichtet, ganze Möbelsortimente hatte sie gekauft, zusammengestellt, wieder entsorgt. Sie hatte auf indischen Kissen gelebt und auf Ledersofas, hatte an Bistrotischen mit marmornen Platten gesessen und an massiven Holztischen. Sie hatte in weißen Laken geschlafen, in schwarzen, in satinglänzenden und in solchen aus pflegeleichtem Frottee. Sie hatte immer wieder von vorn angefangen.
    So vieles, das einmal wichtig gewesen

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