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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Sie schloss die Augen wieder.
    «Jetzt kommt eine dunklere Flüssigkeit herein, sie ist dicker in der Konsistenz, wie Sirup, und dunkelrot, purpur … zwischen Himbeere und Brombeere … ganz satt die Farbe, leuchtend. Die klebrige Konsistenz der Flüssigkeit verklebt die Löcher, aus denen deine Energie entweicht. Sie kleidet dich von innen aus. Jetzt tropft es oben in deinen Scheitel, silbern wie … ich weiß nicht, Quecksilber? Das ist deine Verbindung zu Gott. Oder so», sagte Robina schnell. «Der höheren Instanz. Wie immer du sie nennen willst. Die Tropfen kommen immer schneller. Sie füllen dich auf.»
    Nevada fühlte die klebrige Substanz in ihrem Innern. Sie fühlte die schweren silbernen Tropfen in ihrem leeren Kopf aufschlagen und schimmernde Pfützen bilden, sich verteilen, in ihren Füßen war jetzt kein Leck mehr. Plopp, plopp, plopp.
    Eine Weile lang war es still. Dann atmete Robina so laut aus, als wollte sie die Kerze am anderen Ende des Raumes ausblasen.
    «Was siehst du?»
    Nevada schwieg. Sie sah sich über eine grüne Wiese schweben. Sie trug ein weißes Nachthemd. Sie sah aus wie ein Weihnachtsengel auf einer Kinderzeichnung. Allerdings hatte sie keine Flügel. Sie flog nicht mit Muskelkraft, schwebte eher wie ein Ballon, kreiselte, ließ sich treiben. Sie schaute nach unten, und im selben Moment stand sie wieder im feuchten Gras, barfuß. Als wäre die Luft aus ihr entwichen.
    Sie öffnete die Augen. «Nichts», sagte sie, «ich sehe nichts.»
    Robina nickte. «Ich würde dir dringend raten, einen Arzt aufzusuchen.»
    Martha schnappte hörbar nach Luft. Nevada schaute zu ihr hinüber. Sie hatte sie ganz vergessen. Marthas Gesicht war tränenenüberstömt. Beinahe flehend sah sie Robina an.
    «Ich weiß, ich sage das nicht oft, und ich sage es nicht gern. Aber in dir, Nevada, geht etwas vor, das ich mit reiner Energiearbeit nicht beeinflussen kann. Ich weiß nicht, was es ist, aber es hat deine Chakren aufgelöst. Sie waren wie aus Wackelpudding. Ich musste jedes Einzelne ersetzen!»
    Wieder tauchte vor Nevadas innerem Auge der fliegende Mechanikerkäfer auf, der Zahnräder heranschaffte, die größer waren als er selber. Waren Chakren aus Metall, waren sie glänzend, grau und kalt? Und was war mit den Nadis , den Energiekanälen, die ihre Chakren miteinander verbanden, Ida und Pingala , die sich ineinander verdreht die Wirbelsäule hinaufschlängelten, und Shushumna in der Mitte? Waren die auch verstopft, verklebt, voneinander getrennt? Kaputt?
    «Ich war schon beim Arzt», sagte sie. «Ich war bei diversen Ärzten. Sie haben nichts gefunden. Der Rheumatologe meint, es könnte beginnende Gelenkarthritis sein, die man noch nicht richtig sieht. Er hat mir Schmerzmittel gegeben, aber sie helfen nicht.»
    «Warst du bei einem Neurologen?»
    «Nein.»
    «Das würde ich an deiner Stelle tun. Geh zu einem Neurologen.» Dann sagte Robina nichts mehr.
    Nevada lehnte sich in dem Sessel zurück und schloss die Augen wieder. Die Hand trug sie. Hielt sie fest. Hier wollte Nevada bleiben. Aber irgendwann stand Robina auf und schickte sie weg. Wieder hielt sich Martha lange an der gebückten Frau fest.
    «Ich habe Hunger», sagte Nevada, als sie wieder draußen in der Kälte standen. Die Sonne drang nur schwach durch den Nebel, der in den Bäumen hing, als wäre es Herbst. Der Sommer fällt dieses Jahr aus, dachte Nevada.
    Martha zog schniefend die Nase hoch, dann startete sie den kleinen Traktor. Sie tuckerten ins Dorf hinein und hielten vor einem Gasthaus. Bevor sie ausstieg, kontrollierte Martha ihr Make-up im Rückspiegel. Sie wischte die verschmierte Wimperntusche weg, puderte die Ringe unter ihren Augen und zog ihre Lippen nach. Dann fuhr sie sich mit beiden Händen durch das kurzgeschnittene, blondgefärbte Haar. «Wenn dir die Haare ausfallen, lass ich mir auch eine Glatze scheren!», sagte sie heftig. «Aus Solidarität.»
    «Mama!» Wann hatte sie ihre Mutter je so genannt?
    «Nein, ich meine es ernst. Das hab ich in einem Film gesehen.»
    «Mama, ich habe nicht Krebs. Das haben sie gleich als Erstes ausgeschlossen.»
    «Ach ja, und wie? Mit einem Bluttest?»
    «Ja, ich denke. Jedenfalls haben sie Blut abgenommen.»
    Martha nickte. «Das hab ich mir schon gedacht. Der Bluttest ist nicht zuverlässig. Du musst in die Röhre. Da führt kein Weg dran vorbei. Nicht nach dem, was Robina gesagt hat.»
    «Aber erst essen wir.»
    Sie stiegen aus. Im Gasthof wurden gerade die letzten Teller abgetragen, die

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