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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Jetzt möchte ich eigentlich etwas essen. Aber mit vollem Magen soll man nicht üben. Ich übe ja gar nicht. Also gut. Ich mache noch einen Sonnengruß, um irgendwie in Yogastimmung zu kommen.
    Dann leg ich mich wieder auf den Rücken. Aber bevor ich wieder hundert Dinge gleichzeitig denken kann, hebe ich die Beine in die Kerze.
    Aus meinen Augenwinkeln sehe ich etwas Dunkles über den Boden huschen. Eine Spinne? Ich zucke zusammen, kippe aus der Stellung. Springe von der Matte. Schüttle die Matte aus. Ich hasse Spinnen. Wage es schließlich, unter das Bett zu schauen: ein dicker Staubfusel. Natürlich.
    Noch mal die Kerze, dann der Pflug. Mein T-Shirt verrutscht. Ich habe einen höchst ungewöhnlichen Blick auf mein Bauchfleisch, das sich wie eine Gletschermoräne in Falten legt und auf mein Gesicht zuschiebt. Der Film Angriff der Killertomaten fällt mir ein, ich weiß nicht warum, ich stelle mir vor, wie meine Bauchfalten zu Hochhausgröße anschwellen und sich durch die Straßen der Stadt schieben und unschuldige Menschen unter sich begraben. Sofort schäme ich mich für diesen unspirituellen Gedanken und rolle wieder auf die Matte zurück.
    Der Fisch. Ich lege den Kopf in den Nacken und denke über die Wahrheit nach. Meine Yogalehrerin hat gesagt, im Kehlenchakra hocke die Wahrheit. Ich frage mich, was meine Wahrheit sein könnte.
    Kopfstand. Ich stehe mitten im Zimmer auf dem Kopf, meine Augen huschen in alle Richtungen. Da sind nicht nur Staubflusen unter dem Sofa, da liegt auch ein Brief. Meine Beine kippen, ich falle aus der Stellung und lege mich wieder hin. Mein Magen knurrt.
    Und das ist genug für heute.
    Einen Augenblick lang zögerte sie, bevor sie auf «veröffentlichen» klickte. War sie verrückt geworden? Seit ihrer Kindheit glaubte Poppy, dass jeder, der wirklich in sie hineinsehen konnte, sie unweigerlich für verrückt halten musste. Niemand durfte wissen, wie es in ihrem Kopf wirklich aussah. Niemand.
    Gleichzeitig hatte sie immer geglaubt, eines Tages würde einer kommen, der sie mit einem Blick erkennen und trotzdem lieben würde. Doch dieser eine war gekommen und wieder gegangen. Poppy hatte nichts mehr zu verlieren. Sie schraubte die Schädeldecke ab, machte den Deckel auf und ließ jeden, der Internetanschluss hatte, in das Affenhaus blicken, das ihr Geist war. Eintritt frei!
    Poppy stand auf und holte sich ein Stück Käse. Es war gummig. Sie aß es, ohne etwas zu schmecken. Sie schaltete den Fernseher wieder ein. Ihre Augen fielen zu, doch sobald eine Folge zu Ende war, war sie wieder hellwach. Man müsste von der Mitte einer Folge zur Mitte der nächsten schauen, dachte sie. Von einem langweiligen Teil zum nächsten. Über einem Cliffhanger würde sie nie einschlafen können. Und einschlafen musste sie. Sie durfte morgen nicht zu spät zur Arbeit kommen. Nachdem sie jahrelang niemand zur Kenntnis genommen hatte, ruhten plötzlich alle Augen auf ihr. Metzler kontrollierte ihre Anwesenheitszeiten. Andreas fragte nach den genauen Arbeitsabläufen. Verlangte gar ein Diagramm. Karin hatte sie über ein internes Memo informiert, in dem von «notwendigen Restrukturierungsmaßnahmen» die Rede war. Kündigungen. Poppy versuchte sich einzureden, dass die ungewohnte Aufmerksamkeit, die ihre obskure Abteilung erhielt, mit der ungewöhnlichen Attraktivität ihrer Praktikantin zu tun hatte. Doch Audrey würde Ende dieser Woche wieder an die Erdoberfläche zurückkehren, in eines der Redaktionsressorts. Poppy schaltete den Fernseher aus. Müde oder nicht, sie würde sich jetzt hinlegen. Sie würde das Licht ausschalten und mit offenen Augen still daliegen, in absoluter Dunkelheit.
    Doch bevor sie den Computer ausschaltete – ein letzter Gedanke. Nur einer noch.
    Yoga ist das Innehalten der Bewegungen des Geistes , schrieb sie. Dasselbe kann eine Fernsehserie bewirken.
    Vielleicht, schrieb sie, braucht mein Geist ein besonders starkes Lasso, das ihn fesselt. Die Nachrichten reichen da bei weitem nicht. Die meisten Theaterstücke schaffen es höchstens bis zur Pause. Ein klassisches Konzert – vergiss es. Das Einzige, was die Affen in meinem Kopf nachhaltig beschäftigt und im Zaum hält, sind …
    Poppy überlegte, dann schrieb sie:
    Fernsehserien.
    Eine neue Liebe.
    Yoga.
    Sie wollte gerade wieder auf «veröffentlichen» klicken, da sah sie es: 31 Kommentare.
    Wie lange hatte sie vor dem Fernseher gesessen? Eine Stunde, zwei? Einunddreißig Menschen hatten ihr Affenhaus besucht. Nein: mehr. Viel

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