Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
mehr. Einunddreißig hatten in ihr Gästebuch geschrieben.
Sie begann, die Kommentare zu lesen.
Poppy, du Affenbändigerin, sprichst mir aus dem Herzen! Ich dachte immer, ich sei die Einzige, die es allein auf der Matte nicht aushält!
Ach, und ich dachte immer, außer mir hat niemand ein Problem damit, diszipliniert und kontinuierlich zu Hause zu üben …
Haha, das mit den Zehennägeln, das kenn ich auch. Noch schlimmer: Ich sehe einzelne Haare aus meinen ansonsten frischrasierten Waden wachsen, dann muss ich sofort unterbrechen und sie wegmachen. Spirituelle Hingabe, nicht?
Ich schlaf dafür in Shavasana immer ein. Zu Hause ist das ja egal, aber in der Yogastunde??? Man hat mir schon gesagt, ich hätte geschnarcht. Mit offenem Mund! Peinlicher geht’s nicht!
O doch, peinlicher geht’s: Furzen in der Umkehrstellung.
Vielleicht sollten wir eine eigene Yogagruppe gründen: für Affenbändiger?
Gute Idee!, schrieb Poppy zurück.
Dann wollte sie den Computer schon ausschalten, als plötzlich immer mehr Antworten eintrafen. Sie las sie alle.
Ich hab in meinem Leben noch nie Yoga gemacht. Ich dachte immer, keine Chance, stillsitzen, ich? Trotzdem, Poppy, ich weiß genau, wie es dir geht.
Die Affen wohnten in allen Köpfen.
Sie hatte kaum geschlafen. Trotzdem fühlte sie sich frisch. Und unverwundbar. Bis zur letzten Minute las sie ihren Blog, dann packte sie ihren Laptop ein und fuhr mit dem Fahrrad zum Bahnhof. Auf der kurzen Zugfahrt in die Stadt dachte sie über Antworten nach, die sie formulieren wollte, und bis sie im Redaktionsgebäude angekommen war, hatte sie schon Ideen für mindestens drei weitere Beiträge. Sie konnte es kaum erwarten. Über Nacht hatte sie hundert neue Freundschaften geschlossen.
Freundschaften, die etwas bedeuteten.
Und sie hatte nicht mehr an Wolf gedacht. Nicht mehr so wie in den letzten Tagen. Wolf war nicht mehr ihre einzige Rettung. Wolf war nicht länger der einzige Mensch, der sie verstand. Es gab andere. Viele andere. Die hatten in Poppys Kopf hineingeschaut und waren nicht schreiend weggelaufen. Nein. Sie hatten nur genickt und gesagt: «Ja, genau so sieht es in meinem Kopf auch aus! Ganz schönes Chaos!» Poppy war nicht allein. «Wir sind nicht allein», formulierte sie im Kopf.
Im Keller wartete Audrey schon auf sie. «Hey, Poppy Superstar!», rief sie.
«Wie bitte?»
«Du warst letzte Nacht Nummer eins auf Blogwatch.com , Kategorie first entry !»
Poppy hievte ihre Fahrradtasche aufs Pult. Der Laptop, den sie sonst nie darin hatte, schlug dumpf auf die Tischplatte auf.
«Poppy, pass auf! Du kannst doch deinen Computer nicht so hinwerfen!» Audrey half ihr, die Tasche auszupacken. Sie schüttelte den Kopf, als sie sah, dass Poppy ihren Laptop einfach in einen Schal gewickelt hatte. «Sag mal, wie bist denn du ausgerüstet? Das geht gar nicht!»
Poppy schob ihre Sachen zur Seite und schaltete ihren Arbeitscomputer auf.
«Du willst doch jetzt nicht arbeiten?» Audrey war entsetzt. «Poppy, du musst den buzz ausnutzen, du musst die Welle reiten, morgen bist du wieder vergessen! Jetzt muss es Schlag auf Schlag gehen! Hör mal, du kümmerst dich heute um deinen Blog, und ich übernehme den Rest. Ist eh mein letzter Tag hier unten!»
«Meinst du?»
«Nein, Poppy, ich weiß es! Das haben wir gerade im letzten Ausbildungsblock durchgenommen: impact der neuen Medien. Das ist deine Chance, glaub mir, wenn du es jetzt richtig anpackst, dann kannst du berühmt werden! Dann kommst du hier raus! Du hast einen Twitter-Account, nehm ich mal an?»
«Ich habe alles», sagte Poppy. «Bisher hab ich es einfach nicht regelmäßig benutzt.»
«Okay, das muss sich ändern. Du musst ganz diszipliniert jeden Tag alle deinen Konten bedienen. Der Blog kommt natürlich zuerst. Du musst aber auch andere Blogs besuchen, Kommentare hinterlassen, auf deine Seite hinweisen. Am besten mach ich dir eine Tabelle.»
Ein Stundenplan! Poppy seufzte glücklich. Dann fiel ihr etwas ein: «Audrey, das ist ja lieb von dir, aber warum machst du das? Was hast du davon?»
«Ich?» Sie riss ihre großen Augen auf und blinzelte ein paarmal. «Ich mag dich einfach. Ich möchte dir gerne helfen.» Beinahe wäre Poppy darauf hereingefallen. Doch als sie nicht gleich antwortete, blies Audrey die Backen auf. «Okay, ich geb’s zu, ich habe ein professionelles Interesse. Ich schreibe meine Abschlussarbeit über neue Medien. Die Chance, so eine Entwicklung vom ersten Eintrag an zu begleiten, krieg
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