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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Hände schmerzten, heute auch ihre Oberarme, es kribbelte und zog, als marschierten ganze Kolonien schlechtgelaunter Ameisen unter ihrer Haut hindurch, Ameisen, die immer wieder stehen blieben, übereinanderstolperten, einen Knoten bildeten, ein Feuer entzündeten, eine Schmerzflamme zum Himmel aufschießen ließen, durch die Haut hindurch. Nevada rieb sich die Oberarme, um die Ameisen zum Weitergehen anzuregen, solange sie sich bewegten, war es auszuhalten.
    Sie blinzelte. «Warum ich?», fragte sie. «Ich hab doch nichts getan!» Sie klang wie ein kleines Kind. Sie riss sich zusammen. «Sie sind mir von einer Freundin empfohlen worden, einer Schülerin von mir übrigens, sie ist Ärztin wie Sie auch. Ich war bei keinem Naturheiler, Schamanen oder Quacksalber. Ich habe auch keine 900er Nummer angerufen, um mich von ferne heilen zu lassen. Das Einzige, was Sie mir vorwerfen können, ist, dass ich meine Beschwerden zu lange ignoriert habe. Und ja, das mag mit meinem Beruf zu tun haben. Menschen, die sich den ganzen Tag körperlich anstrengen, sind Schmerzen gewohnt und nehmen sie nicht ernst. Vielleicht nicht ernst genug. Schauen Sie sich meine Akte an. Ich war in der Notaufnahme, beim Rheumatologen, beim Orthopäden und beim Tropenarzt. Sie sind Neurologe. Das heißt, was immer Sie bei mir finden, ist schlimmer als das, was Ihre Kollegen schon ausgeschlossen haben. Ich sitze hier vor Ihnen und ich habe Angst. Entweder Sie helfen mir, oder Sie schicken mich zu jemand anderem!»
    Einen Moment lang war es ganz still. Die Stille breitete sich zwischen ihnen aus wie ein Abgrund. Plötzlich erschauerte der Arzt, als erwache er aus einem Albtraum. Er legte den Kopf in seine Hände. Nevada wartete.
    Schließlich schaute er auf und sah sie an. «Ich habe das alles laut gesagt.»
    Es war keine Frage. Doch Nevada nickte.
    «Dafür gibt es keine Entschuldigung. Trotzdem, es tut mir leid.»
    Nevada nickte wieder.
    «Meine Tochter …», sagte der Arzt, dann winkte er ab. «Das tut nichts zur Sache.»
    Er atmete ein paarmal tief ein und aus. Dann räusperte er sich. «Fangen wir noch einmal von vorn an.» Er blätterte durch ihre Akte. «Für Ihre Beschwerden gibt es tatsächlich keine einfache Erklärung. Es ist gut möglich, dass die Schmerzen in Ihren Händen von den anderen Symptomen unabhängig sind. Die bisherigen Untersuchungen zeigen nur minimale Abnützungserscheinungen. Erstaunlich eigentlich, wenn man bedenkt, dass Sie seit frühester Jugend eine Art Extremsport betreiben – und ich meine das nicht abwertend!»
    «So habe ich es auch nicht verstanden.» Also doch nicht zu viel geübt, dachte Nevada, und der nächste Gedanke war gleich: Also nicht genug geübt? Dann müsste ich weiter üben, mehr üben, strenger üben. Solange meine Gelenke es erlauben.
    «Ich gehe eher davon aus, dass es Nervenschmerzen sind, die Sie quälen», fuhr der Arzt fort. «Aber ich möchte die Ergebnisse der MRI-Untersuchung abwarten. Den Termin haben Sie bereits?»
    Nevada nickte. «Was denken Sie?», fragte sie. «Was könnte es sein?»
    «Ich möchte nicht spekulieren.»
    «Und wenn Sie müssten?»
    Der Arzt schüttelte den Kopf. Nevada meinte, Mitleid in seinen Augen zu lesen.
     
    «Seine Tochter ist bei einer Hausgeburt gestorben», sagte Marie, die in der Cafeteria auf sie gewartet hatte. Auch Martha und Sierra waren da. Sie hatten darauf bestanden. Als sie Nevada kommen sahen, war Martha aufgesprungen, um Kaffee und Kuchen zu holen. Alle ihre Essensvorschriften waren aufgehoben worden. Es herrschte Ausnahmezustand.
    «Manche sagen, er sei zu früh wieder zur Arbeit erschienen», fuhr Marie fort. «Willst du, dass ich dich an jemand anderen überweise?»
    Nevada schüttelte den Kopf. «Nein, ich mag ihn. Komisch, nicht?»
    Martha stellte eine mit rosa Zuckerguss überzogene Cremeschnitte vor Nevada hin.
    «Wie soll sie die denn essen?», schimpfte Sierra. «Die kann man auch mit gesunden Händen kaum zerlegen!» Sie zog den Teller zu sich heran und hieb mit der Gabel in präzisen Abständen auf das Kuchenstück ein, das sich widerstandslos ergab.

 
    h ṛ daye Cittaa ṃ vit
    Die Konzentration auf das Herz führt
    zu einem tiefen Verständnis des Bewusstseins.
    Patanjali Yoga Sutra 3 . 34

     
Poppy
     
    Poppy schaute auf die Uhr. Es war kurz nach neun. Sie würde es noch einmal mit Yoga versuchen. Sie rollte die Matte aus, machte ein paar Sonnengrüße, und als sie den Faden verlor, fuhr sie einfach stur fort, ohne zu zählen, ohne

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