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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Vollkommen unyogisch fuhr der Gedanke durch ihren Kopf: Shit , ich will ihn!
    Sie öffnete die Augen. Sie rieb ihre Handgelenke in einer unbewussten Geste der Verzweiflung. Sie rang die Hände. Sie bat um Hilfe.
    Plötzlich sah sie ein Bild vor sich, das sie in einem alten Buch gesehen hatte, eine bräunliche Fotografie: Ein Yogi mit zurückgebundenem Penis. Brahmacaryapratisthayarh viryalabhah – Wer Enthaltsamkeit übt, wird seine volle Lebensenergie erfahren.
    Lebensenergie hatte sie dringend nötig. Sie lebte seit fünf Jahren abstinent, und ihre Energie war weg. Verschwunden. Nevadas Gedanken drehten sich im Kreis. Verbotenes Fleisch. Das Curryhuhn. Dieser Mann.
    Wolf war ihr Schüler. Er stand in der ersten Reihe ganz links, dort, wo Poppy immer ihre Matte ausgerollt hatte. Er trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer amerikanischen Universität. Über der Brust, in der Nevada leben wollte. Seine dickrandige Brille nahm er während der ganzen Stunde nicht ab. Nevada blieb auf ihrem Kissen sitzen. Sie stand nicht auf, um eine Übung vorzumachen. Um einem Schüler in eine Stellung zu helfen. Ihr rechtes Bein gehorchte ihr nicht.
    Nach der Stunde nickte Wolf ihr zu. Sie verstand. Er würde in der Bar auf sie warten. Sie ließ sich Zeit. Sie wartete auf die Ameisen. Als sie ihr Bein wieder spürte, stand sie auf. Sie räumte ihre Matten weg, sie zog sich um. Nach kurzem Überlegen zog sie sich die Augenbrauen nach, die Lippen. Dann ging sie langsam nach unten, Stufe für Stufe. Öffnete die Tür zur Bar.
    Da saß er, ganz hinten. Sie starrte ihn an und ging dann langsam auf ihn zu, wie auf einen Altar. Ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank, dachte Nevada. Sie setzte sich. Legte ihre nutzlosen Hände auf den Tisch. Schaute auf und schaute ihn an.
    «Wir müssen reden», sagte er.
    Sie nickte.
    «Es geht um Poppy.»
    «Poppy?» Einen Augenblick lang wusste sie nicht, wovon er sprach. Es geht um uns, dachte sie, um dich und mich. Wer zum Teufel ist Poppy? Dann fiel es ihr wieder ein. Ihre Schülerin. «Sie war seit Wochen nicht mehr hier.»
    «Sie ist verhaftet worden. Hast du es nicht in der Zeitung gelesen?»
    «Ich lese keine Zeitungen. Was ist passiert?»
    «Du liest keine Zeitungen. Dann weißt du auch nicht, wer ich bin?»
    Du bist mein Mann, vom Schicksal gesandt, mein Auserwählter, wollte Nevada sagen, aber sie ahnte schon, dass sie damit falschlag, und schüttelte deshalb unverbindlich den Kopf.
    «Meine Frau ist ermordet worden. Ich dachte erst, sie hätte mich verlassen – Grund genug dazu hatte sie. Dann wurde ihre Leiche im Fluss gefunden. Und bei der Obduktion stellte sich heraus, dass sie schon tot war, als sie ins Wasser fiel. Ihr Kehlkopf war eingedrückt worden.»
    Wie, seine Frau? Wie konnte er schon eine Frau haben? «Und Poppy?», fragte Nevada.
    «Poppy hat meine Frau nicht umgebracht.»
    «Wer behauptet denn so etwas?»
    «Sie selber. Sie hat den Mord gestanden. Seither sitzt sie im Untersuchungsgefängnis.»
    «Poppy?»
    «Ja, Poppy! Es ist furchtbar.» Wolf schwieg einen Moment, dann sagte er leise: «Ich liebe sie.» Und als Nevada noch dachte, sie hätte sich verhört, «Ich liebe dich», hatte er doch bestimmt sagen wollen, wiederholte er: «Ich liebe Poppy. Sie hat meine Frau nicht umgebracht. Sie darf nicht verurteilt werden. Sie darf nicht im Gefängnis bleiben.»
    «Darf sie nicht», wiederholte Nevada.
    «Zwanzig Jahre lang haben wir uns nicht gesehen. Und jetzt, gerade als wir uns wiedergefunden haben … ich hätte mich scheiden lassen. Das war gar keine Frage. Früher oder später. Wir hätten endlich zusammen sein können. So, wie wir es vor zwanzig Jahren waren, nein, besser. Richtig. Es hätte richtig sein können, und jetzt ist es falsch!»
    Alles ist falsch, dachte Nevada. Seine Hände langten über den Tisch, griffen nach Nevadas Händen, drückten sie so fest, dass sie vor Schmerz zusammenzuckte.
    «Es kann doch nicht sein, dass es jetzt zu spät ist!», sagte er.
    Sie zog ihre Hände zurück und legte sie in ihren Schoß, die rechte unter die linke, ihre Daumen berührten sich. Inana Mudra. Eine Geste, die das klare Denken unterstützen sollte.
    «Du musst mir helfen», sagte Wolf.
    «Natürlich helfe ich dir.»
    «Nein, nicht mir. Du musst Poppy helfen. Ich bitte dich, Nevada.»
    Nevada sagte ja. Was hätte sie sonst sagen sollen?
     
Poppy
     
    Poppy hatte Besuch. Sie hatte es doch gewusst, Julia würde kommen. Sie betrat das Besuchszimmer, in dem zwei kleine Tische

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