Montana 04 - Vipernbrut
werden.
Ein paar Stunden später - Pescoli war damit beschäftigt, die Teilnehmerinnen des Bibelkreises von Brenda Sutherlands Kirchengemeinde zu überprüfen, die sie zuletzt lebend gesehen hatten - ging Alvarez hinüber zur Vermisstenabteilung und erkundigte sich bei Taj nach weiteren vermisst gemeldeten Frauen.
»Lass mich mal nachsehen«, sagte Detective Taj Nayak, tippte etwas in ihren Computer und blickte auf den Monitor.
Alvarez war kribbelig; sie hatte Stunden darauf gewartet, mit Taj sprechen zu können, hatte sich die ganze Nacht über den Kopf zerbrochen, ob es irgendeine Verbindung zwischen Lissa Parsons und Brenda Sutherland geben könnte.
Sie glaubte nicht an Zufälle, und die vergangenen Winter hatten sie gelehrt, auf der Hut zu sein. Dafür, dass Grizzly Falls eine Kleinstadt war, gab es hier ganz schön viele Verrückte. Da waren die Harmlosen wie Ivor Hicks, der auf die achtzig zuging und immer noch steif und fest behauptete, er wäre vor Jahren auf dem Mesa Rock von Außerirdischen entführt worden. Sie hätten ihn zum Mutterschiff gebracht und Experimente an ihm vorgenommen, diese Bande von Reptilien, angeführt von einem abscheulichen General namens Crytor. Er hatte bei allem, was ihm heilig war, geschworen, dass seine Erfahrung mit den Außerirdischen nicht auf seine enge Beziehung mit seinem besten Freund Jack Daniel’s zurückzuführen war. Alvarez war dennoch nicht ganz überzeugt.
Dann gab es da noch Grace Perchant, eine Frau, die mit keiner Menschenseele etwas zu tun haben wollte und allein mit mittlerweile zwei Wolfshunden lebte. Das große Männchen namens Bane hatte Gesellschaft von Sheena, einem nicht mehr ganz jungen Weibchen, bekommen. Jetzt besaß Grace also ein regelrechtes Rudel. Großartig. Überzeugt, sie könne mit Geistern sprechen, gab die Eigenbrötlerin nicht selten unheimliche Vorhersagen von sich, die seltsamerweise immer eintrafen. Dennoch war sie, zumindest nach Alvarez’ Überzeugung, harmlos.
Doch Grizzly Falls hatte in letzter Zeit mehr als seinen gerechten Anteil an sadistischen Mördern abbekommen: Zwei Jahre in Folge hatten blutrünstige Psychopathen die Gegend in Angst und Schrecken versetzt. Wie Pescoli oft genug gesagt hatte: »Das liegt an der Kälte; die Minustemperaturen bringen Verrückte hervor!«
Alvarez dagegen, die eher auf Fakten und die Wissenschaft setzte, konnte dieses Phänomen nicht genau benennen - es gefiel ihr nur nicht. Und jetzt, da gleich zwei Frauen spurlos verschwunden waren, stellte sich wieder dieses leichte Kribbeln an ihrer Schädelbasis ein, das sie vor schlechten Neuigkeiten warnte.
»Es werden einige Leute vermisst«, teilte Taj ihr mit und scrollte auf dem Computerschirm nach unten. »Ein älterer Mann ist aus einem Pflegeheim verschwunden und noch nicht wiedergefunden worden; dann haben wir da zwei jugendliche Ausreißer, Zwillinge, möglicherweise entführt von ihrem eigenen Vater; außerdem ein Baby, das jemand aus dem Krankenhaus gestohlen hat.«
»Ich suche nach einer Frau, vermutlich zwischen neunzehn und vierzig, was aber nicht zwangsläufig sein muss.«
»Nun, da wäre Lara Sue Gilfry«, sagte Taj mit gefurchten Augenbrauen. »Sie ist vor etwa einem Monat verschwunden … lass mich mal nachsehen. Ah, da ist sie ja.« Ein Foto von einer rothaarigen Frau mit großen, blauen Augen und schmalen, blassen Lippen erschien auf dem Monitor. »Sie ist achtundzwanzig und gilt als ziemlich flatterhaft. Zieht wohl viel durch die Gegend. Zuletzt gesehen wurde sie am sechsten November im Bull and Bear Bed & Breakfast, wo sie als Zimmermädchen arbeitete. Sie soll eine auffällige Narbe am rechten Bein haben, gleich oberhalb des Knies, die von einem Motorradunfall als Teenager herrührt, außerdem eine Tätowierung am linken Fußknöchel, einen Schmetterling.« Taj drehte den Bildschirm so, dass Alvarez das Foto der Vermissten besser sehen konnte. »Mit ihrer Familie ist sie zerstritten; ihre Mutter starb, als sie zwei war, der Vater gut zehn Jahre später; die Stiefmutter hatte nach seinem Tod wechselhafte Beziehungen. Seit ihrem sechzehnten Geburtstag ist Lara Sue auf sich selbst gestellt.«
Alvarez spürte, wie ihr ein banger Schauder den Rücken hinablief. »Was ist mit Freunden? Cousins? Freundinnen?«
Taj las weiter. »Kein fester Freund. Sie war eine Einzelgängerin, blieb gerne für sich. Der Besitzer des Bull and Bear, der auch die Vermisstenmeldung aufgegeben hat, hat sie gegen einen Teil ihres Lohns in einem Zimmer
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