Montana 04 - Vipernbrut
unter dem Dach schlafen lassen.«
»Hat sie ihre Sachen dortgelassen?«
»Ja. Deshalb ist der Fall auch so knifflig, denn sonst wäre es durchaus möglich, dass sie zu den Leuten zählt, die von Stadt zu Stadt ziehen und sich treiben lassen.«
»Was ist mit Geld? Habt ihr das Konto überprüft? Ihre Kreditkarte?«
Taj schüttelte den Kopf. »Ihr Arbeitgeber hat ihr jeweils am Monatsende einen Scheck ausgehändigt, den sie bei der Bank einlösen konnte. Sie hat alles bar bezahlt.«
»Na prima. Hatte sie einen Computer, war sie bei Facebook oder Twitter?«
»Bislang haben wir nichts finden können.«
»Alle jungen Leute sind in diesen sozialen Netzwerken.«
»Wie gesagt: Wir konnten nichts finden.« Taj blickte sie an.
»Und wir haben wirklich intensiv danach gesucht.«
»Na schön. Dann ist sie vielleicht einfach abgehauen.«
»Vielleicht.«
»Kannst du das, was ihr über sie wisst, an mich weiterleiten?«
Taj nickte. »Klar.«
»Danke.«
Mit einem schlechten Gefühl, das sie einfach nicht abschütteln konnte, verließ Alvarez die Vermisstenabteilung.
Keine Leichen.
Keine Tatorte.
Aber mittlerweile drei vermisste Frauen.
Wo zum Teufel mochten sie stecken?
Calvin Mullins hatte mit der Polizei nicht viel am Hut. Cops machten ihn nervös, selbst Cort Brewster, einer der Kirchendiakone und stellvertretender Sheriff von Grizzly Falls. Obwohl ein frommer Mann, unerschütterlich in seinem Glauben, hingebungsvoller Ehemann und aufopfernder Vater atemberaubend schöner Töchter, war Brewster doch immer noch ein Polizist, und genau das machte dem Prediger zu schaffen.
Heute hatte er im Kirchenbüro einem weiteren Vertreter des Sheriffbüros von Pinewood County gegenübergestanden. Detective Regan Pescoli hatte ihn unter seinem frisch gebügelten Hemd und der Chagrin-Jacke zum Schwitzen gebracht. Während er am Schreibtisch vor seiner ausgedruckten Predigt saß und noch einmal mit Textmarker darüberging, um die wichtigsten Punkte hervorzuheben, hatte Pescoli, eine der aufdringlichsten, arrogantesten Frauen, denen er je begegnet war, an die Tür geklopft.
»Ihre Frau sagte, ich würde Sie hier finden«, teilte sie ihm mit, bevor sie sich vorstellte und Platz nahm, bevor er sie überhaupt hereingebeten hatte. Gerade in dem Augenblick schickte ihm Lorraine eine SMS. Sein Handy vibrierte, auf dem Display erschien die Warnung: »Polizei auf dem Weg zu dir.« Zu spät. Genau das war das Problem: Lorraine hatte nie gelernt, schnell zu simsen.
Hightech war nicht ihr Ding, aber sie war eine treue, nachsichtige Ehefrau und die Mutter seiner drei Töchter.
Pescoli war attraktiv auf diese kompromisslose, kontrollierende Art und Weise, die ihn stets faszinierte. Sie war groß, hatte rote, etwas zerzauste Haare und musterte ihn mit intelligenten Augen.
Er setzte ein Lächeln auf und hoffte, gütig zu wirken. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte er und erhob sich, um ihr die Hand zu schütteln.
Sein Büro war klein, doch übersichtlich eingerichtet, in den Regalen standen gebundene Bücher über Philosophie und die Religionen der Welt, Bilder von Gott und schönen Gegenden der Erde verliehen dem Raum gerade das richtige Maß an Farbe. An einer Wand hingen gerahmte Diplome und Auszeichnungen. Obwohl er Stolz für eine Sünde hielt, so sah er diese Erfolge doch als Beweis für seine Frömmigkeit, sein Bemühen und sein Streben nach Selbstvervollkommnung: lauter Qualitäten.
Ein kleiner Topf mit einem Weihnachtsstern stand auf einer Ecke seines Schreibtischs. Lorraine sorgte stets für jahreszeitgemäßen Blumenschmuck in seinem Büro: »Gottes Handwerk«, wie sie dazu sagte.
»Ich möchte mit Ihnen über Brenda Sutherland reden.«
»Hat man sie gefunden?«, fragte er hoffnungsvoll. Er schätzte Brendas festen Glauben und bewunderte aufrichtig, wie sie ihre beiden halsstarrigen Söhne allein großzog.
»Noch nicht.«
»Oje! Ich bete, dass sie unversehrt nach Hause zurückkehrt«, sagte er ernst.
»Haben Sie sie in letzter Zeit gesehen?«
»Aber ja. Natürlich. Ich schaue, so oft ich kann, bei den Gruppen vorbei, und Brenda hat vorgestern Abend am Bibelkreis meiner Frau teilgenommen. Sie haben über den Wunschbaum gesprochen, den wir in unserer Kirche aufstellen wollen.« Er faltete die Hände über seiner Predigt, so dass Pescoli einen Blick auf seinen Ehering werfen konnte.
Doch als diese ihm weitere Fragen stellte, spürte er, wie ihm sein Kragen zu eng wurde und sich Schweißtropfen in seinem Nacken
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