Montana 04 - Vipernbrut
Bank zu gehen und die neuen Scheine abzuholen, damit sie ihr Geschenk fertig machen konnte. Gerade als der Vorhang zufiel, sah sie aus den Augenwinkeln etwas an der Seite ihres Grundstücks stehen, im Garten zwischen ihrem Haus und dem der Swansons.
Einen Schneemann … einen großen Schneemann oder vielmehr eine Schneefrau, den weiblichen Rundungen nach zu urteilen, direkt vor dem Schneemann, den ihre Enkelkinder vor zwei Tagen gebaut hatten. Der Unterleib der »Frau« stieß gegen den von Frosty.
»Himmelherrgott!«, schimpfte sie leise. Sie wusste, wer die Übeltäter waren, wohnten sie doch gleich nebenan. Sie hatten das Haus gemietet, in dem zuvor die Brandts gewohnt hatten, und seitdem gab es ständig Probleme. Diese Swanson-Kinder machten nichts als Ärger. Obwohl sie es nicht beweisen konnte, war sich Mabel sicher, dass die Teenager im vergangenen Jahr ihre liebevoll hergerichtete Weihnachtskulisse umgestaltet hatten. Das beleuchte Reh aus geflochtenen Weiden war ihr ganzer Stolz, und sie hatte ihm, zusammen mit einem Plastikweihnachtsmann und dessen Frau, einen ganz besonderen Platz in ihrem Garten gegeben. Lichterketten in den umstehenden Tannen beleuchteten die weihnachtliche Szenerie. Buck, der Hirsch, konnte sogar seinen Kopf zur Seite drehen. Letztes Jahr hatten dieser sexgeile, verdorbene Jeb Swanson und sein Bruder den Hirsch und das unschuldige Reh in eine wahrhaft abscheuliche Position gebracht, so dass es aussah, als würde Buck das Bambi bespringen! In ihrem Garten! Keinen Meter vom Ehepaar Santa entfernt!
Und nun hatten sie ihr einen weiteren schmutzigen Streich gespielt. Diese widerlichen Bälger! Wenn ihre Eltern nicht schnellstens eingriffen, würden sie mit Sicherheit auf die schiefe Bahn geraten.
So was!
Leise vor sich hin schimpfend, huschte Mabel in ihren Pantoffeln zur Hintertür, wo sie ihre Jacke vom Haken nahm und in die bereitstehenden Stiefel schlüpfte. Sie setzte ihre Strickmütze auf und streifte ein Paar Handschuhe über, bevor sie die große Taschenlampe ergriff, die Ollie neben der Hintertür aufbewahrte.
Empört stapfte sie durch den tiefen Schnee, in der Nacht waren noch einmal gut zehn Zentimeter hinzugekommen. Bevor sie die Schandtat an der Seite des Hauses genauer ins Auge fasste, warf sie einen raschen Blick in den Vorgarten. Gut, Santa, seine Gemahlin und das Rotwild schienen unberührt. Jetzt zu Frosty und der »Schneefrau«.
Sie überlegte, ob sie an die Haustür der Swansons klopfen und die ganze verfluchte Familie aus den gemütlichen Betten holen sollte, um ihnen einen Standpauke über ihre missratenen Söhne zu halten. »Die sollten ihre künstlerische Ader mal lieber in der Schule ausleben«, brummelte sie und stellte fest, dass die Kohlenaugen der Schneefrau in den Schnee gefallen waren … zumindest konnte sie sie nirgends entdecken. Sie ließ den Strahl ihrer Taschenlampe über das schändliche Werk wandern. Kein Hut, keine Armstöcke, keine Karottennase wie bei Frosty direkt hinter ihr.
Kein zufriedenes Grinsen, keine Zigarette, die aus dem Mund der Schneefrau baumelte, wie es für diese Gören typisch gewesen wäre. Plötzlich kam ihr ein entsetzlicher Gedanke. Was, wenn sie Frostys Karottennase genommen und ein Stück tiefer plaziert hatten … aber nein! Seine Nase war dort, wo sie sein sollte, Gott sei Dank.
»Seltsam«, sagte sie laut. Hinter ihr ertönte Motorengeräusch. Sie blickte über die Schulter und sah Scheinwerfer, die durch die mittlerweile dicht fallenden weißen Flocken schnitten. Endlich! Wurde auch Zeit, dass der elende Zeitungsmann endlich auftauchte! Nach sechs, was für eine Unverschämtheit! Mabel nahm sich vor, den Händler anzurufen und sich zu beschweren.
Wie unangenehm, dass Arvin diese obszöne Schneefrau zu Gesicht bekäme … Wo war bloß ihre Nase?
Mabel kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. In dem Augenblick fiel das grelle Licht der näher kommenden Scheinwerfer auf die Schneefrau. Unter der frischen Puderschicht der mittleren »Kugel« blitzte etwas auf. Mabel beugte sich vor und richtete den Strahl ihrer Taschenlampe darauf, und ja, da war etwas Glitzerndes unter dem Schnee, ein Stück unterhalb des Kopfes.
»Was zum Teufel ist das?«
Mit gerunzelter Stirn fegte Mabel den Schnee zur Seite, um an das funkelnde Teil zu gelangen. War das ein Ring? Mit ihren behandschuhten Fingern kratzte sie ungeduldig an dem gefrorenen Schnee. Seltsam, unter der dünnen Schicht Neuschnee war Eis. Dickes, massives
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