Montana 04 - Vipernbrut
den Bildschirm gerichtet, auf dem irgendein blutiges Kriegsspiel lief. Im Augenblick war ein Labyrinth aus Räumen in einem Betonbunker zu sehen, Scharfschützen bogen um die Ecken. Jeremy drückte versiert die Knöpfe des Controllers und vaporisierte einen nach dem anderen. Blut spritzte und färbte den Bildschirm grellrot.
»He!«, rief sie, doch er war so gebannt, dass er nicht mal aufblickte. »Rambo!« Sie berührte ihn an der Schulter, und er wäre vor Schreck fast unter die Decke gesprungen. Mit einer raschen Handbewegung riss er sich den Kopfhörer herunter.
»Mom! «, rief er aus, einen Augenblick abgelenkt. »O Mist! Sieh nur!« Er deutete anklagend auf den Fernseher. »Ich bin tot!«
Cisco, der seine Aufregung spürte, sprang kläff end auf sein ungemachtes Bett.
Mit finsterem Blick, als hätte er seine Mutter am liebsten sonst wohin geschickt, knurrte Jeremy: »Was ist?«
»Ich muss los.« Sie klang ernst, und er beruhigte sich ein wenig.
»Warum?«
»Es hat eine Schießerei in Alvarez’ Garage gegeben.«
»Was? Ist alles in Ordnung mit ihr?« Zum ersten Mal seit Wochen sah sie so etwas wie einen Funken Besorgnis in seinen Augen aufblitzen. Früher war Jeremy ein sensibler, mit-fühlender Junge gewesen, und sie hoffte so sehr, dass er diese Eigenschaften auch als Erwachsener wieder aufleben ließ.
»Entschuldige, ich habe mich falsch ausgedrückt. Es wurde geschossen, aber niemand wurde verletzt. Selena geht es den Umständen entsprechend gut, der mutmaßliche Täter ist in Gewahrsam, aber ich möchte trotzdem nach ihr sehen, mit ihr reden.«
»Oh, ähm, ja.« Er nickte. »Verstehe. Sicher.«
»Das bedeutet, dass unser gemeinsames Abendessen erneut verschoben werden muss.«
»Das ist schon okay.« Er setzte sich den Kopfhörer wieder auf.
»Ich habe Thunfischauflauf gemacht. Steht auf dem Herd. Wenn du möchtest, kannst du nach oben gehen und essen. Salat ist in einer Plastiktüte im Kühlschrank, Dressing ist auch dabei.«
»Okay.« Abwesend blickte er auf den Bildschirm und tätschelte Ciscos Köpfchen, der sein Kinn auf Jeremys Oberschenkel gelegt hatte.
Pescoli bezweifelte, dass ihr Sohn den Salat anrühren würde. Grünzeug war einfach nicht sein Ding. »Ich weiß noch nicht, wann ich wieder nach Hause komme.«
»Ich gehe später eh noch weg.«
»Was heißt >später«
»Keine Ahnung.«
»Jeremy? Es schneit.«
Er rang sich tatsächlich zu einem Grinsen durch und sah Joe jetzt so ähnlich, dass es ihr beinahe das Herz zerriss. »Ja, ich weiß, Mom. Aber wir leben in Montana, da schneit es im Winter immer.«
»Schätze, du hast recht.« Sie ließ ihn mit dem Hund und seinem Videospiel allein und ging die Treppe hinauf. Ihr Blick fiel auf das Loch in der Wand, das dort war, seit Jeremy vor ein paar Jahren seine Faust dagegengerammt hatte. Sie hatte es so belassen in der Hoffnung, dass es ihn daran erinnerte, sein Temperament unter Kontrolle zu halten, doch das schien ihn nicht weiter zu beeindrucken. Früher oder später würde sie es ausbessern oder ein Bild darüberhängen müssen.
Oben angekommen, klopfte sie an Biancas Tür und öffnete sie. Ihre Tochter saß an ihrem Schminktisch mit dem beleuchteten Spiegel und legte eine weitere Schicht Wimperntusche auf, während sie gleichzeitig Gott weiß wie vielen Freunden simste. Sie hatte ihr Haar geflochten, rote Strähnchen leuchteten aus den dicken Zöpfen hervor. Sie hatte sich die Haare schon in jeder erdenklichen Farbe gefärbt, und Pescoli war froh, dass Bianca im Augenblick zumindest teilweise zu ihrer Naturfarbe zurückgekehrt war. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. »Ja?«, fragte Bianca.
»Ich muss noch mal los.«
Die Sechzehnjährige verdrehte die Augen und konzentrierte sich wieder darauf, ihre Wimpern voller, länger und geschwungener aussehen zu lassen. »Das ist ja nichts Neues.«
»Wir essen morgen zusammen zu Abend, versprochen.«
Bianca zuckte die Achseln. »Meinetwegen.«
»Hör mal, Alvarez ist heute Abend beinahe erschossen worden. Man hat sie in ihrer Garage angegriffen.«
Biancas Mascarabürstchen blieb in der Luft hängen. Sie hörte sogar auf zu simsen. »Ist alles in Ordnung mit ihr?«
»Ich denke schon. Aber ich möchte mich lieber persönlich vergewissern.«
»O Gott, Mom. « Bianca blinzelte, dann drehte sie sich auf ihrem Polsterschemel zu Pescoli um und blickte sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Das ist ja entsetzlich.«
»Ich weiß, aber zum Glück ist ihr nichts passiert.«
»Du
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